Killers of the Flower Moon
Killers of the Flower Moon | USA | 2023
IMDb, OFDb, Schnittberichte
Martin Scorsese greift mit KILLERS OF THE FLOWER MOON auf altbewährte Mechanismen und Motive zurück, die in seiner Karriere immer wieder prächtige Früchte getragen haben. Die filmische Darstellung der realen Osage-Morde ermöglicht es ihm, Motive wie Machtmissbrauch, familiäre Bindungen oder Gewaltausübung miteinander zu verbinden. Die engen Bindungen, die die weißen Siedler mit der indigenen Bevölkerung der Osage eingehen, um an deren Geld zu gelangen, sind geprägt von Misstrauen und Verrat, von Gier und Unmenschlichkeit – immer jedoch versteckt hinter einer Fassade aufopferungsvollen Mitgefühls. Das von Robert De Niro gegebene Siedlerfamilienoberhaupt William „King“ Hale verkörpert diese Fassade pars pro toto. Obwohl er seine Pläne und Ansichten schon in der Exposition offenbart, wirken seine Bekundungen des Mitgefühls und der Verbundenheit immer wieder erschreckend glaubhaft.
Es werden unvermeidlich Erinnerungen an Scorseses Gangsterfilme wach; nicht erst durch die klandestinen Treffen im Kino oder die Banküberfälle. Doch gibt es eine auffällige Abwandlung vom klassischen Gangster-Topos: Nimmt der Aufstieg der Verbrecher in der Regel eine entscheidende (da erklärende) Rolle ein, spart Scorsese diesen nun fast gänzlich aus. Der Film beginnt bereits im Zustand der vollständigen Ausbeutung der Indigenen durch die Siedler und steigt dann über die gesamte Spielzeit hinweg immer tiefer ab.
Diese schonungslose Darstellung dieses (weiteren) düsteren Kapitels der US-amerikanischen Geschichte verweist deutlich auf Scorseses tragende Rolle im Zuge des New Hollywood. Mit Filmen wie DIE FAUST DER REBELLEN (1972), HEXENKESSEL (1973) oder TAXI DRIVER (1976) war er maßgeblich daran beteiligt, unschönen Themen und randständige Charaktere auf die Kinoleinwände zu bringen. Nun dreieinhalb Stunden lang den US-amerikanischen Gründungsmythos als Geschichte von Betrug und Mord zu erzählen, fügt sich quasi nahtlos in diesen Ansatz ein. Und meinem persönlichen Empfinden nach passt die Musik von Robbie Robertson perfekt zu diesem Stil, verweigert er sich doch über weite Strecken einer komplexen Untermalung und beschränkt sich stattdessen häufig auf einzelne Bassnoten, die die moderige und missgünstige Atmosphäre wunderbar untertreichen. Mit Robert De Niro und Lily Gladstone ist der Film in den Hauptrollen prächtig besetzt, aber Leonardo DiCaprios Ernest Burkhart ragt aufgrund der Vielfalt seiner Facetten doch deutlich hervor. Zum einen ist er der irgendwie kindliche Kriegsheimkehrer, der sich anspruchslos in die familiäre Struktur einordnet. Seinem stets „King“ genannten Onkel William gegenüber ist er unterwürfig, lässt sich am Ohr ziehen und macht sich Selbstvorwürfe. Molly gegenüber mäandert er zwischen tatsächlich Verliebtem und genervtem Partner. Bei nächtlichen Raub- und Sauftouren wird er dann zum jugendlichen Draufgänger, um bei der mörderischen Explosion eines Nachtbarhaus gar glaubhaft erschüttert zu sein. All das kulminiert in einem hin- und hergerissenen Auftreten im Verhör und einem großartigen Finale, bei dem sich die traurige Wahrheit wohl als endgültig bestätigt. Das entschädigt auch für die ein oder andere Länge in den dreieinhalb Stunden.