Der Killer von Wien
Lo strano vizio della Signora Wardh | Italien/Spanien | 1971
IMDb, OFDb, Schnittberichte
Julie Wardh (Edwige Fenech) reist mit ihrem geschäftstüchtigen Gatten Neil (Alberto de Mendoza) nach Wien. Doch die Ehe zeigt schnell erste Risse, sodass der charmante George (George Hilton) schnell einen Zugang zu Julies Herzen findet. Und als wäre das nicht schon genug der (sexuellen) Anspannung, tritt auch noch Jean (Ivan Rassimov) auf den Plan, Julie ehemaliger Liebhaber. Als dann auch noch eine Mordserie die Großstadt erschüttert, beginnt eine perfide Jagd.
Obwohl Sergio Martino bereits in den 60er Jahren erste Regie-Erfahrungen an der Seite von Altmeister Mario Bava gesammelt hatte, sollten seine ersten eigenen Arbeiten mit den beiden Mondo-Beiträgen MILLE PECCATI… NESSUNA VIRTÙ (1969) und NAKED AND VIOLENT (1970) sowie dem Italowestern DER TOD SAGT AMEN (1970) zunächst mäßig ausfallen. Die darauffolgende Arbeit, deren Wirkung man keineswegs schmälert, wenn man sie als von Dario Argentos DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE (1970) inspiriert betitelt, zeigte dann aber umso mehr das immense Können, dass in Martino schlummerte und welches er in den nächsten Jahr(zehnt)en immer wieder aufs neue – und häufig mit einer vor und hinter der Kamera recht ähnlichen Besetzung – unter Beweis stellen sollte.
Neben Vittorio Caronia und Eduardo Manzanos Brochero war es vor allem Ernesto Gastaldi, der das Drehbuch zu Martinos erstem Giallo (es sollten noch derer vier folgen) maßgeblich gestaltete. Der für unzählige italienische Genre-Beiträge verantwortlich zeichnende Autor zeigt schon in der berühmten Eröffnungsszene überdeutlich, dass der Film dem gelben Genre angehört, indem er beinahe sämtliche übliche Stilmittel in wenigen Sekunden erscheinen lässt. Danach konzentriert sich das Skript dann vor allem darauf, nach dem furiosen Beginn eine Hauptdarstellerin zu präsentieren, die im Kreuzfeuer dreier Herren einen moralischen und charakterlichen (bisweilen auch sexuellen) Anker sucht – freilich ohne Erfolg.
Carol: Stell dir vor, ich hatte mal einen Bekannten, der sammelte Damenslips. Jedes Mal, wenn wir zusammen waren, fehlte mir hinterher einer.
In der Rolle der derart durch die Wiener Nacht gleitenden Julie tritt die junge Französin Edwige Fenech auf, die schon in Werken wie Ottavio Alessis SKLAVEN IHRER TRIEBE (1969) oder den deutschen Schmuddel-Streifen DIE NACKTE BOVARY (1969) und MADAME UND IHRE NICHTE (1969) Hauptrollen übernommen hatte. Als Identifikationsfigur der Zuschauenden ist Julie allerlei Irrungen und Wirrungen ausgesetzt, auch wenn sie dabei kaum versucht, die zeitgleich zu ihrem Aufenthalt in Wien stattfindende Mordserie aufzuklären; neben der Suche nach sexueller Erfüllung und emotionaler Geborgenheit gleichermaßen, steht vor allem das Überleben an erster Stelle ihrer to-do-Liste.
Da sind die Herren der Schöpfung schon deutlich mehr an der Enttarnung der über Julie schwebenden Bedrohung interessiert. Ihr von Alberto de Mendoza gegebener Gatte Neil, kurz zuvor noch in Fulcis Giallo NACKT ÜBER LEICHEN (1969) im Einsatz, glänzt dabei allerdings eher durch berufsbedingte Abwesenheit und ist so eher dafür wichtig, die zerrüttete Beziehung der beiden zu zeichnen. Im Gegensatz dazu gibt Italowestern-Ikone George Hilton den galanten Verführer George, der Julie auf jede erdenkliche Weise versteht. Im Schatten hinter diesen beiden wartet dann noch Ivan Rassimov als Jean, der als sadomasochistisch veranlagter Ex-Liebhaber eine omnipräsente Bedrohung darstellt. Die Aufeinandertreffen dieser drei Herren fallen dann erwartbar aggressiv und hahnenkämpfend aus.
Carol: Du kannst von einem einzigen Mann nicht alles verlangen.
Wobei die meisten Zusammentreffen mit Jean um genau zu sein in Julies (Tag-)träumen vorfallen, was zugleich ein wichtiges Stilmittel Martinos darstellt. Obwohl gleich zu Beginn eingesetzt, sorgen diese mittels Kamera und Ton fast surreal anmutenden Szenen mit zunehmender Spielzeit geschickt dafür, dass die Zuschauenden zusammen mit Julie an der Realität zu zweifeln beginnen. Wer tot ist und wer lebt, wer hilft und wer bedroht, wer Freund ist und wer Feind, alle diese Fragen sind bald kaum noch zu beantworten, sodass eine omnipräsente Bedrohungssituation – die durch die wundervoll düsteren und ausweglosen Aufnahmen des nächtlichen Wiens noch bestärkt wird – entsteht. Obendrein wäre Nora Orlandis wundersames Titelstück schon für sich genommen dazu in der Lage, Zuhörer in eine andere Welt zu entführen.
An dieser düsteren Stimmung ändert dann auch der optische Bruch im letzten Drittel, wenn der Film ins sonnige Spanien abwandert, nichts mehr. Die Angst ist längst allgegenwärtig und im Tageslicht läuft der Film noch mal zu absoluter Höchstform auf. Martino inszeniert ein Finale, welches selbst gewitztesten Film-Hellsehern eine hinabstürzende Kinnlade bescheren dürfte. Die Auflösung der Geschichte – die sich genretypisch von jeder Verantwortung gegenüber Logik und Sinn freispricht – nimmt rund 15 Minuten in Anspruch und breitet die ganze Niedertracht der männlichen Protagonisten genüsslich vor der Zuschauerschaft aus. Mit diesem Ausrufezeichen wird man in den Abspann entlassen – und gleichzeitig mit der Gewissheit, hier einem wirklich tollen Beitrag zum Giallo beigewohnt zu haben.
Eine Top-Besetzung präsentiert in Martinos erstem Giallo ein Ränkespiel zwischen Liebe und Angst, zwischen Sehnsucht und Gier. Wunderbar (suggestiv) inszeniert und mit einem denkwürdigen Finale versehen, braucht der Streifen wahrlich keinen Vergleich innerhalb des Genres zu scheuen.