Sklaven ihrer Triebe
Top Sensation | Italien | 1969
IMDb, OFDb, Schnittberichte
Die reiche Mudy (Maud Belleroche) will ihren geistig behinderten Sohn Tony (Ruggero Miti) mittels intrigant herbeigeführtem Beischlaf kurieren. Dabei helfen ihr das Paar Aldo (Maurizio Bonuglia) und Paula (Rosalba Neri) sowie die attraktive Ulla (Edwige Fenech). Ziel der Bestrebungen ist Beba (Eva Thulin), die mit ihren simpel gestrickten Mann Andro (Salvatore Puntillo) auf einer einsamen Insel lebt.
Nach der Komödie CHE FINE HA FATTO TOTÒ BABY? (1964) sollte der italienische Drehbuchautor Ottavio Alessi fünf Jahre ins Land ziehen lassen, bevor er sich 1969 seiner zweiten und gleichzeitig letzten Regiearbeit zuwandte. Dazu holte er sich die Hilfe der Autoren Lorenzo Ricciardi und Nelda Minucci und schrieb mit ihnen ein Drehbuch, welches vordergründig simpel daherkommt, bei genauerer Betrachtung jedoch einige Spitzfindigkeiten offenbart. Gleiches gilt dann folgerichtig auch für den auf dieser Grundlage entstandenen Film.
Auf den ersten Blick sieht SKLAVEN IHRER TRIEBE nämlich wie ein schnöder kleiner Sexploiter aus. Teilweise etwas lange Sequenzen mit nackten Damen sowie willigen Paaren und einige spekulative Tabubrüche könnten den Betrachter nur allzu schnell dazu verleiten, Alessis Werk als inhaltsarm abzustempeln. Und tatsächlich täte man dem Film mit dieser Behauptung nicht einmal Unrecht, vollführt er doch tatsächlich keine allzu großen narrativen Sprünge – stattdessen bietet er seinem Betrachter aber jede Menge Möglichkeiten zur Interpretation.
Paula: Mich friert wenn es Nacht wird.
Aldo: Na, dann will ich mal heizen.
Am klarsten tritt dabei der Konflikt zwischen Kultur und Natur, zwischen Dekadenz und Ursprünglichkeit zu Tage. Die Truppe um die tyrannische Schiffseignerin Mudy kennt ausschließlich Gier und Sex und verbringt ein dementsprechend lasterhaftes und zielloses Dasein. Das bäuerliche Paar Beba und Andro hingegen stellt mit der Unschuld der ersteren und der Naivität des letzteren den idealisierten Kontrast dazu dar. Das Aufeinandertreffen dieser beiden Welten führt logischerweise zum Konflikt, der dann letztlich in Tod und Verderben endet.
Bis es allerdings so weit ist, serviert Alessi seinem Zuschauer einige Situationen, die das eingangs erwähnte Bild der simplen Sexploiters weitgehend falsifizieren. So ist der Trieb hier mitnichten ein rein plakatives Element, sondern wird auch auf inhaltlicher Ebene thematisiert. So ist der Sex für die von Maud Belleroche wundervoll rau und unnahbar gegebene Mudy die einzige denkbare Möglichkeit, ihren geistig behinderten Sohn Tony – der wiederum von Ruggero Miti mit viel Fingerspitzengefühl und ohne Albernheiten gespielt wird – von seinem Leiden zu kurieren.
Die eigens dazu an Bord geholt Prosituierte Ulla, sowie das Paar Aldo und Paula sollen dabei helfen, ergehen sich jedoch auch lieber in sexuellen Ausschweifungen. Edwige Fenech, die erst in den folgenden Jahren zu der großen Berühmtheit werden sollte, als die sie heute bekannt ist, und Rosalba Neri, die zu diesem Zeitpunkt schon einiges an Bekanntheit erlangt hatte, personifizieren dann diese Wollust, welche beide dann (wenn auch ohne Erfolg) auf die unschuldige Beba zu übertragen versuchen. Besser klappt das schon bei dem von Salvatore Puntillo schwungvoll dargebotenen Andro. Dass beide Vertreter der Unschuld dann am Ende ihr Leben auf dem Boot lassen müssen, ist ebenso konsequent wie bitter.
Formal reduziert Alessi seinen Film auf das Notwendigste. Als Schauplätze dienen lediglich die Entlegenheit der Insel und die Enge des Boots. Letzteres überwiegt dabei deutlich, beides zusammen schafft die Atmosphäre von Abgeschieden- und Einsamkeit. Was sonst auf der Welt passiert ist unbekannt und unwichtig, es zählt lediglich, was sich in diesem Mikrokosmus abspielt. Dementsprechend ist selbiger auch den gängigen Regeln und Gesetzen enthoben und ermöglicht so erst das entstehende Desaster. Kameramann Alessandro D’Eva entspricht dieser Grundidee mit einer simplen, aber wirkungsvollen Arbeit, der Soundtrack von Sante Maria Romitelli hingegen setzt mit seinem beschwingten Score einen gewissen Kontrast.
Aldo: Scheiß auf die Weiber! Wenn man die ernstnehmen wollte, käme man doch zu überhaupt nichts mehr im Leben!
Ebenfalls kontrastreich erscheint die deutsche Kinofassung des Films, für welche man sich im Hause Ton-Film einige eigene Gedanken machte. Den Sinn des Films nicht erfassend war man der Meinung, durch umfangreiche Schnitte und das Einfügen selbstgedrehter Szenen mehr Schwung in das Werk zaubern zu können. Mit Günter Hendel, der in jener Zeit in allen möglichen Funktionen im deutschen Schmuddelfilm-Gewerbe tätig war, in der Hauptrolle produzierte man also ein paar Sequenzen, in denen Ermittler dem Fall Tony auf der Spur sind. Billig gemacht, dümmlich eingebunden und darüber hinaus generell unnötig sind diese Szenen allerdings nicht mehr als eine Randnotiz. Seine wahre Qualität entfaltet der Film lediglich in der originalen Schnittfassung.
Dass diese Qualität mitunter schwierig zu erkennen ist, wurde eingangs bereits erwähnt, doch wer gewillt ist, in dem Streifen mehr als ein wenig vordergründige Sexploitation zu sehen, der kann hier einiges an Inhalt und Aussage entdecken. Und noch schöner wäre es doch eigentlich, wenn man aus dem Film lernt, dass vordergründige Sexploitation und hintergründiger Inhalt sich mitnichten ausschließen müssen.
Ottavio Alessis zweite und gleichzeitig letzte Regiearbeit zeigt wundervoll auf, dass vordergründige Sexploitation und hintergründige Ideen sich mitnichten ausschließen müssen; es bedarf allerdings der Bereitschaft des Betrachters, sich auf dieses Experiment einzulassen, um das auch zu erkennen.
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