Das Lied von Mord und Totschlag
Los Amigos | Italien | 1972
IMDb, OFDb, Schnittberichte
Im Jahr 1836 hat sich die Republik Texas zwar von Mexiko losgesagt, ist damit aber noch lange nicht in sicherem Fahrwasser. Während Präsident Houston für Ruhe zu sorgen versucht, ist es dem finsteren General Morton (Franco Graziosi) vielmehr daran gelegen, sich ein ordentliches Stückchen Land unter den eigenen Nagel zu reißen. Um das zu verhindern, wir ein ungleiches Duo entsandt: Der taubstumme Erasmus „Deaf“ Smith (Anthony Quinn) und sein liebestoller Kumpel Juanito „Johnny“ Ears (Franco Nero) sollen für Ruhe in der neuen Republik sorgen.
Die Eckpfeiler der Karriere von Paolo Cavara sind sicherlich die Zusammenarbeit mit Gualtiero Jacopetti und Franco Prosperi an MONDO CANE (1962), seine Mondo-Reflexion DAS WILDE AUGE (1967) und sein Giallo DER SCHWARZE LEIB DER TARANTEL (1971). Nur ein Jahr später sollte er dann einen Fußabdruck im staubigen Sand der zunehmend zur Komödie werdenden Italowestern abliefern, der dieser Entwicklung angenehm entgegensteht. Denn während allenthalben parodische Überzeichnungen der typischen Italowestern-Sujets aus dem Boden sprossen, die das Publikum mal mehr, mal weniger gut zu unterhalten vermochten, entwickelte Cavara eine andere Idee davon, was es am Italowestern noch zu bearbeiten gäbe. So nahm er einen der Kernmechanismen des Genres – die Freundschaft zweier unterschiedlicher Protagonisten – genauer in den Blick.
Juanito: Diesen Hintern kenne ich doch!
Typ: Da sind Sie nicht der Einzige hier, Mister.
Das Ergebnis ist dann eher eine Beziehungsstudie als ein klassischer Italowestern, was allerdings als großes Kompliment zu verstehen ist. Das Drehbuch, das neben ENDSTATION SEHNSUCHT-Autor Oscar Saul auch von Harry Essex geschrieben wurde, der schon GEFAHR AUS DEM WELTALL (1953) und DER SCHRECKEN VOM AMAZONAS (1953) schrieb und Jahre später OCATAMAN – DIE BESTIE AUS DER TIEFE (1971) drehte, kümmert sich dementsprechend wenig um die Etablierung einer spannenden Geschichte. Es gibt ein paar Halunken rund um Franco Graziosis ordentlich aber unspektakulär gegebenen General Morton, Unschuldige werden abgeknallt und am Ende erwischt es die Unholde selbst. Innovation sieht anders aus. Dafür fasst der Film aber die beiden Helden genau in den Blick und nimmt sich viel Zeit, die beiden Rollen zu etablieren. Die Zuschauenden lernen die Figuren sowie deren Eigenheiten und Macken in einzelnen Szenen kennen und können den wachsenden Konflikt zwischen beiden so genau verfolgen.
Anthony Quinns Erasmus wird dabei zum Pflichtbewusstsein in Person gemacht, der den erteilten Auftrag ohne Rücksicht auf Verluste oder das eigene Wohl auszuführen gedenkt. Er kennt keine Ablenkungen und unterscheidet sich genau in diesem Punkt massiv von Franco Neros Juanito, der nach Ankunft im Städtchen erstmal ins Bordell stürmt und sich in die Prostituierte Susie, gespielt von Pamela Tiffin, verguckt. Sowohl Quinn als auch Nero spielen exzellent und als Bindeglied dient ihnen die Taubstummheit von Quinns Rolle, die die Beziehung zu einer besonders schwierigen/innigen macht (und die es Cavara ebenso ermöglicht, einige Sequenzen aus Sicht von Quinn zu zeigen und dabei auf sämtliche Geräusche zu verzichten). Die beiden sind aufeinander angewiesen, auch wenn das keinem so richtig passen will. Richtig mitreißend wir das Verhältnis dann im letzten Drittel, wenn die beiden sich zusammenraufen und den Bösen den Garaus machen. Dass Juanito am Ende in der Erkenntnis, dass er fortan zwar mit Susie aber ohne Erasmus leben soll, schmerzverzerrt in die Kamera weint (ein im Übrigen geniales Schlussbild), belegt nicht nur die humorvolle Seite des Skripts, sondern unterstreicht auch die besondere Relevanz dieser Beziehung für die Figuren – und somit für den Film.
Juanito: Er hat sich benommen als wäre er Gottes bester Freund, aber ich glaube, der Herr ist ihm auf die Schliche gekommen.
Ansonsten merkt man dem Streifen durchaus an, dass Metro-Goldwyn-Mayer ihm ordentlich unter die Arme gegriffen hat, denn das Gebotene sieht durchweg gut aus. Nette Sets, ordentliche (Explosions-)Effekte und natürlich die immense Gatling-Ballerei am Ende sorgen für gefällige Schauwerte. Das tröstet zwar auch nicht darüber hinweg, dass das Finale aufgrund des bloß stiefmütterlich ausgearbeiteten Spannungsbogens ein wenig versandet, aber die Post-Final-Szene reißt das locker wieder raus. Auch im staubigen Westen gibt es halt mehr als nur Geballere und Gehure: nämlich echte und innige Freundschaft unter Männern.
Indem er den Blick fast ausschließlich auf die Beziehung der beiden Protagonisten richtet, gelingt es Paolo Cavara einen späten Italowestern abzuliefern, der sich angenehm aus der Masse der zu dieser Zeit immer mehr in Richtung Komödie tendierenden Genrekollegen abhebt.