Gangster sterben zweimal
Gangsters ’70 | Italien | 1968
IMDb, OFDb, Schnittberichte
Jules Dassin hat – freilich neben vielen Anderen – mit RIFIFI (1955) und TOPKAPI (1964) Prototypen des Heist-Films geschaffen. Bis hin zu modernen Kindeskindern wie OCEAN’S ELEVEN (2001) ist diesem Genre dabei ein Mechanismus inhärent: Eine unglaublich versierte Truppe an Kriminellen muss sich einer unglaublich vertrackten Herausforderung stellen, um an die begehrte Beute zu kommen. Alles andere wäre ja auch öde – denkste! Cinecittà-Außenseiter Mino Guerrini verkehrt dieses Grundkonzept in GANGSTER STERBEN ZWEIMAL einfach ins diametrale Gegenteil. Die Drehbuch-Grundlage dafür liefert mit Fernando Di Leo ein Mann, der sich mit Filmen wie MILANO KALIBER 9 (1972), DAS MAFIABOSS – SIE TÖTEN WIE SCHAKALE (1972) und DER TEUFEL FÜHRT REGIE (1973) zu einem der Fachleute des Poliziesco entwickeln sollte, einem Genre, dem unter anderem solche Filme wie GANGSTER STERBEN ZWEIMAL oder Siro Marcellinis ähnlich gelagerter QUINTERO – DAS AS DER UNTERWELT (1969) den Weg bereiten sollten.
Zu Beginn lernen wir den gerade aus dem Knast entlassenen Destil (Joseph Cotton) kennen, der – ganz in der Manier eines jeden kriminellen Genies – einen letzten großen, den mondänen Ruhestand sicherstellenden Coup plant. Was sich zunächst klassisch anlässt, bekommt schon bald erste Risse. Destils Kumpane und Poker-Ass Sempresi (Giampiero Albertini) verzockt das von Puff-Vater Affatato (Bruno Corazzari) geliehene Startkapital, der angeworbene Meisterschütze Ludi (Giulio Brogi) steckt tief in der Heroinsucht; dagegen wirkt die von Franca Polesello gegebene, der Ablenkung dienende Schauspielerin Franca mit ihrem Suizidversuch schon fast stabil. Dabei wissen die Protagonisten nichts von den Schwächen der Anderen, nur die Zuschauenden sind vollauf im Bilde und betrachten das löchrige Schiff, wie es in die schäumende See hinausfährt. Anders als in Marco Vicarios grandiosem SIEBEN GOLDENE MÄNNER (1965) suchen die Rezipienten nicht nach dem winzigen Detail, das das Kartenhaus zum Einsturz bringen kann, sondern bekommen einen Coup vorgesetzt, der in Anbetracht der Beteiligten zum Scheitern verurteilt scheint.
Folglich zeigt uns Guerrini auch kaum minutiöse Vorplanungen, sondern das Elend der Protagonisten. Die Unterhaltungen sind stets von Sorge und Zweifel geprägt, alle schlafen schlecht und ahnen Düsteres. Das Ganze kulminiert in einer genialen Szene, in der Ludi in die Stadt fährt, um seine Drogensucht zu befriedigen. Das Dröhnen des Busses, sein Wimmern, wenn der Stoff nicht zu bekommen ist, und das zunehmende Pochen seines Herzens wirken wie eine dunkel-dräuende Vorhersage. Komponist Egisto Macchi unterstreicht das mit experimentellen Klängen stilsicher – ebenso wie er für die wilde Flucht jazzige Sounds und für den Coup die unvermeidlichen Bassläufe wählt. Klarer aber wird die düstere Vorausschau noch in der optischen Form. Die Mise en Scène ist stets einengend und nimmt die Figuren quasi gefangen. Die Räume sind trist und düster, schattig und kalt. Es ist der exakte Gegenentwurf zum poppig-bunten Stil der SIEBEN GOLDENEN MÄNNER. Und als Sahnehäubchen gibt es dann noch unzählige einfallsreiche Montagen, wenn beim Pokern nur die Gesichter der Spielenden starren, Hände in Nahaufnahmen geschüttelt werden, sprudelnde Gläser den Vordergrund bilden oder Erinnerungen stets in Sekundenbruchteilen durch Bild huschen. Mein Liebling: Wenn Destil und Sempresi gleich zu Beginn jenen Anwalt aufsuchen, der Destils Geld verwaltet, dann wechselt beim Schnitt zwar der Hintergrund, aber Position und Bewegungsmoment der beiden bleiben gleich – es wechselt der Raum, die Zeit jedoch läuft einfach weiter. Genial. Es ist auch diese technische Finesse, die GANGSTER STERBEN ZWEIMAL so sehenswert macht.
Der Coup läuft dann erwartbar unspektakulär ab – aber wider Erwarten gelingt er. Der obligate Sturz der hochfliegenden Gangster folgt erst später, wenn dann doch der Fehler eines der Beteiligten blutige Rache fordert. Guerrini formuliert das Geschehen dann zu einem nihilistischen Ende aus, bei dem die gestohlenen Diamanten letztlich im Dreck landen und keiner etwas davon hat. Spätestens hier drängt sich auf, was eingangs bereits Erwähnung fand: Wie auch QUINTERO – DAS AS DER UNTERWELT markiert GANGSTER STERBEN ZWEIMAL jenen Schaniermoment der italienischen Filmgeschichte, an dem der sich erschöpfende Italowestern in die Städte wanderte und dort die Geschichten von Banden, Gewalt und Betrug im Umfeld der sich immer mehr zu Molochen entwickelnden Großstädte weitererzählte.
Nach Roberto Faenzas Spielfilmdebüt ESCALATION (1968) macht sich Forgotten Film Entertainment mit GANGSTER STERBEN ZWEIMAL, der Nr. 2 der Reihe Italo Cinema Collection, erneut um das italienische Genrekino verdient. Außer DAS DRITTE AUGE (1966), der D’Amato als Inspiration für SADO – STOß DAS TOR ZUR HÖLLE AUF (1979) dienen sollte, gibt es keinen von Guerrinis Filmen in Deutschland auf DVD oder Blu-ray. Um trotzdem Zugang zur Person zu finden, finden sich im schicken Booklet 24 Seiten zur Person aus der profunden Feder des italienischen Filmfachmanns Roberto Curti. Auf 14 weiteren Seiten überblickt Curti den italienischen Heist-Film, einleiten darf Christian Keßler mit seiner unnachahmlichen Mischung aus Sachkenntnis und Wortwitz.
Aus den Extras stechen vor allem die Audiokommentare hervor, die die generelle Entwicklung hin zu Kommentaren „aus der Szene“ unterstreichen. Robert Wagner (Eskalierende Träume und critic.de), David Leuenberger (Whoknowspresents), Udo Rotenberg (L’Amore in Citta) und Forgotten Film Entertainment-Geschäftsführer Konstantin Hockwin liefern Interessantes und Unterhaltsames für die Ohren. Ansonsten gibt es die deutsche und die italienische Kinofassung, einige entfallene/alternative Szenen, diverse Aushangfotos und den deutschen Werberatschlag. Und auch die enthaltenen Fotos der Drehorte verweisen wieder auf die Szene: sie stammen von der Italo-Fachfrau von Schattenlichter.
Und die Liebe zum Kino spiegelt sich letztlich auch in der Aufbereitung. Das Bild ist klar und scharf, aber nicht übermäßig gefiltert oder korrigiert. Hier und da wackelt es etwas und auch kleinere Schäden finden ihren Weg auf die Scheibe. Das passt zum Film und transportiert Zeitkolorit. Es zeugt von Achtung und Verständnis für das Vorliegende. Da freut es einen dann gleich noch mehr, dass der Schutzumschlag des wie gewohnt höchst wertigen Schubers bereits die Nr. 3 der Reihe ankündigt: Giorgio Steganis EIN SOMMER VOLLER ZÄRTLICHKEIT (1971).