The Wolf of Wall Street
The Wolf of Wall Street | USA | 2013
IMDb, OFDb, Schnittberichte
Nachdem der Börsenmakler Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio) seinen gerade erst angenommenen Job an der New Yorker Börse verliert, muss er sich in der Vorstadt mit dem Handel vom Kleinstaktien begnügen. Doch sein ihm ureigenes Verkaufstalent sorgt rasch dafür, dass er – auf Kosten der Mensch, die ihm Glauben schenken – riesige Summen verdient. Zusammen mit seinem Partner Donnie Azoff (Jonah Hill) baut er also ein Unternehmen namens Stratton Oakmont auf, welches ihnen nicht nur Millionen von US-Dollar einbringt, sondern ihnen auch die Tore zu allen Formen der Verkommenheit öffnet.
Donnie (Jonah Hill) und Jordan (Leonardo DiCaprio)
Naomi (Margot Robbie)
Mit 24 Spielfilmen auf dem Kerbholz wurde der Meister-Regista Martin Scorsese im November 2012 70 Jahre alt. Böse Zungen sagten ihm dabei nach, dass der nunmehr erreichte Herbst des Lebens wie der Karriere sich auch in seinen Filmen widerspiegele. War DEPARTED – UNTER FEINDEN (2006) noch ein Meisterwerk, bot SHUTTER ISLAND (2010) „nur noch“ (sehr) gutes Kino und HUGO CABRET (2012) erfuhr letztlich nur eine durchwachsene Rezeption. In Verbindung mit dem erwähnten Jahrestag nahmen es sich also einige Kritiker heraus, dass künstlerische Ende Scorseses vorherzusagen. Doch während jene Schreiberlinge gerade an ihren diversen Pamphleten arbeiteten, werkelte der gute Martin im Hintergrund bereits an einem Film, der diese Behauptungen mit Nachdruck ins Reich der Fabeln verweisen sollte.
Jordan: Es war obszön … in der normalen Welt – aber wer wollte da schon leben?!
Dazu holte er sich den Autoren Terrence Winter ins Boot, der mit seinen Arbeiten für die Serienerfolge DIE SOPRANOS und BROADWALK EMPIRE gezeigt hatte, dass er sich in der Welt der schmierigen Typen und kriminellen Machenschaften auskannte. Und da Scorseses 25. Spielfilm eine Biographie werden sollte, lag es darüber hinaus nahe, sich die darzustellende Persönlichkeit ebenfalls in den Beraterstab zu holen. So sollte der heutige Motivationstrainer Jordan Belfort dann fünf Jahre nach seiner Haftentlassung (und der gleichzeitigen Veröffentlichung seiner Geschichte in Buchform) an der Verfilmung mitwirken. Die wichtigste Entscheidung bei diesem Projekt traf Scorsese jedoch, als er sich dazu entschied, THE WOLF OF WALL STREET in die (formalen) Fußstapfen seiner größten Erfolge treten zu lassen: so wird schon in den ersten Sekunden per unmittelbarer Voice-Over-Ansprache des Protagonisten klargestellt, dass GOODFELLAS – DREI JAHRZEHNTE IN DER MAFIA (1990) und CASINO (1995) hier die Paten darstellen. Der Weg von der organisierten Kriminalität hin zur Börse ist dann nur noch ein Katzensprung.
Während der Dreharbeiten
Während der Dreharbeiten
Und tatsächlich nutzt THE WOLF OF WALL STREET genau das Konzept der erwähnten Klassiker. Der Zuschauer begleitet einen verdrehten Charakter beim Aufstieg und Fall und durchlebt in der Zwischenzeit sämtliche abwegige Hochs und Tiefs, die es in der realen Welt so niemals geben könnte (oder eben doch). Doch anders als noch 23 respektive 18 Jahre zuvor, ist Scorsese dieses Mal nicht daran gelegen, die wahnwitzigen Geschichten in ein einigermaßen realistisches Kostüm zu kleiden; stattdessen sorgen Wahnwitz und Überzeichnung allenthalben dafür, dass der Zuschauer zu keinem Zeitpunkt wirklich weiß, was hier real und was hier pure Fantasie ist.
Diese Faszination zieht der Film aus dem Kniff, fast alles, was geschieht, aus der Perspektive von Belfort zu zeigen. Da der echte Belfort eben auch als Berater Scorseses tätig war, entsteht so eine Darstellung, die irgendwo zwischen Wünschen, Wissen und Fragen umherpendelt. Da wird mit Kleinwüchsigen umhergeworfen, da wird auf Partys öffentlich onaniert, da werden kiloweise Koks gezogen und eine Geschlechtskrankheit folgt der nächsten. Scorsese übermittelt den exzessiven Lebensstil Belforts so auch formal an der Zuschauer, da dem Film eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Themen Finanzwirtschaft, Handel oder auch Moral völlig abgeht. So spricht DiCaprio den Zuschauer gar zweimal unmittelbar in dem Versuch, sein Geschäftsmodell zu erläutern, an, nur um dann mit der Bemerkung, das würde ohnehin niemanden interessieren, wieder abzubrechen. Klasse!
Max: Beilagen? Beilagen? 26.000 Dollar für Beilagen? Was sind das für Beilagen, können die Krebs heilen?
Die so entstehende Atmosphäre macht es in den ersten zwei des vom Studio zwangsweise auf drei Stunden limitierten Spielfilms zu einer wahren Freude, den Protagonisten zu folgen; und das, obwohl es quasi keine positive Identifikationsfigur gibt. Leonardo DiCaprios Jordan Belfort ist ein Arschloch, ein Zyniker, ein Schwein und ein Junkie. Es ist DiCaprios großem Können zu verdanken, dass diese Rolle trotzdem nur so vor Charme tropft und es ist wohl auch die Erfahrung von mittlerweile fünf gemeinsamen Filmen, die Scorsese seinen Star so gekonnt einsetzen lässt. DiCaprio ist der Film und der Film ist DiCaprio. Umso erstaunlicher, dass der ebenso riesige wie namhafte übrige Cast trotzdem nicht heillos untergeht.
Während der Dreharbeiten
Während der Dreharbeiten
Komödien-Fachmensch Jonah Hill brilliert als grandios geschminkter Kumpan Donnie, Kyle Chandler gibt einen überzeugenden (wenn auch etwas flach gezeichneten) FBI-Agent Denham und Jean Dujardin kann als wunderbar getroffener schweizer Finanzhai Saurel ebenfalls mehrere Lacher abstauben. P. J. Byrne, Kenneth Choi und Jon Bernthal ergänzen DiCaprios enges Umfeld wunderbar und finden in den zahlreichen Ausschweifungen alle einen tollen Platz. Aber auch Regisseur-Kollege Rob Reiner überzeugt als cholerischer Paps oder Joanna Lumley als verkommene Mutter von Belforts Frau Naomi. Selbige wird von Margot Robbie ebenso verführerisch wie selbstbewusst gegeben. Neben den hier genannten verfeinern viele weitere Mimen diese beeindruckende Besetzung und zeigen ein weiteres Mal deutlich, dass Scorsese zu den Regisseuren gehört, die auch mit großen und facettenreichen Schauspielergruppen bestens zu arbeiten verstehen.
Donnie: Solange mein Geld an deinen Titten klebt, wirst du für mich arbeiten!
Umso ärgerlicher erscheint es da, dass der Film mit vorschreitender Spieldauer immer mehr gegen sein eigenes Konzept anzukämpfen scheint. Während die blanke Überzeichnung in der ersten Hälfte prächtig dazu beiträgt, die pure Ekstase, die die Protagonisten durchleben, aufzuzeigen, steht sie den im Laufe der Spielzeit anwachsenden dramatischen Elementen doch etwas konträr gegenüber. Belforts ausufernde Drogensucht, sein selbstzerstörerischer Umgang mit seiner Familie oder der skurrile Bootsunfall werden so zu mitunter unstimmigen Szenen. Denn dass jede diese Sequenzen mit teilweise allzu derben Humor angereichert werden muss, raubt einigen Momenten schlicht die emotionale Tiefe. So werden dann Szenen in denen DiCaprio sabbernd die Treppe (die eine kongeniale Demonstration der Blickwinkel des Films darstellt) herunterfällt oder im Angesicht des Todes auf seiner Yacht nur an die nächste Pille denkt, unfreiwillig albern. Diese Szenen machen den Film freilich zu keinem schlechten, trüben den ausgezeichneten Eindruck der ersten zwei Stunden aber doch mitunter spürbar.
Es bleibt Scorseses Verdienst, dass er den Film trotzdem zu einem ordentlichen Ende bringt; auch wenn er sich dabei wiederum der bewährten Strategien aus GOODFELLAS – DREI JAHRZEHNTE IN DER MAFIA und CASINO bedient. Aufgrund der biographischen Struktur ist der Abschluss somit auch weniger als zynischer Kommentar, sondern vielmehr als schlichte Wahrheit zu lesen – letztlich ist das aber auch egal, denn Scorsese verfolgt mit diesem Streifen mitnichten das Ziel, seinem Zuschauer irgendeine Erkenntnis zu vermitteln. Außer natürlich die überdeutliche Widerlegung der eingangs dargelegten Vermutungen bezüglich seiner Karriere. Auch im Alter von 71 Jahren weiß er weiterhin, was einen guten Film ausmacht. Das zeigt er hier erneut – wenn auch nicht ganz so brillant, wie noch einige Jahrzehnt zuvor.
Die Arbeit
Die Partys
Den Konzepten seiner größten Erfolge folgend, erschafft Martin Scorsese eine Biographie, die zum einen sehr deutlich vom Spiel mit der Perspektive und zum anderen von ihrer äußerst einnehmenden Hauptfigur lebt. Neu ist allerdings die schonungslose Überzeichnung der Geschehnisse, die die ersten zwei Stunden zu einer rasanten Reise durch die abgründige Welt der Dekadenz macht, gleichermaßen aber dafür sorgt, dass der Film sich irgendwann an seinem eigenen Konzept zu stoßen beginnt. Wer darüber hinweg sehen kann, der erhält hier drei Stunden voller wahnwitziger Unterhaltung.