Der Berserker
Milano odia: la polizia non può sparare | Italien | 1974
IMDb, OFDb, Schnittberichte
MILANO ROVENTE (1973) war Umberto Lenzis erster Kontakt mit der Großstadt und deren Katz- und Mausspielen zwischen Polizei und Gangstern. Nur ein Jahr später sollte er dann mit DER BERSERKER einen frühen Knaller seiner an Klassikern nicht armen Poliziesco-Filmographie abliefern. Ähnlich wie in den später folgenden DIE GEWALT BIN ICH (1977) oder DIE KRÖTE (1978) kommt dem Gesetzesbrecher (auch hier schon in genialer Rolle: Tomas Milian) dabei mindestens genauso viel Aufmerksamkeit zu wie dem Hüter desselben. Eigentlich sogar mehr, denn trotz Henry Silvas trefflicher Darbietung als Kommissar Walter Grandi ist es doch schlicht und einfach Milians Film.
Schon die Exposition zeigt uns, welch ein Mensch Milians Giulio Sacchi ist. Als Fluchtwagenfahrer knallt er einen Bullen ab, der ihn nach den Wagenpapieren fragt. Er verliert die Nerven, er sieht keinen anderen Ausweg. Danach lässt Lenzi Sacchi durch unzählige Szenen marodieren, hinter sich nur Blut und Leichen. Sacchi schnappt sich harmlose Kleinkriminelle, um seinen niederträchtigen Plan, die Entführung und Ermordung der Industriellentochter Marilù Porrino (Laura Belli), in die schändliche Tat umzusetzen. Seine Kumpanen nötigt er zu Drogenkonsum und grenzenloser Brutalität. Sacchi kennt keine anderen Mittel als Sadismus und Gewalt. Und Lenzi zeigt das überdeutlich: Milian vergewaltigt seine Freundin, erschießt ein altes Paar, das ihm Waffen verkauft, zwingt Geiseln zum Oralverkehr, bevor er sie und ihr siebenjähriges Kind erschießt. Nein, Giulio Sacchi ist kein Charakter, zu dem man irgendeine Bindung aufbaut; er ist schlicht und einfach abstoßend. Eine Meisterleistung Milians!
Dem gegenüber ist Sacchi in Gegenwart des Gangsterbosses Ugo Maione (Luciano Catenacci) dann wieder ein Kriecher. Er lässt sich schlagen und treten, wirkt hilflos und schwach. Noch schwächer wirkt er nur, wenn sich seine Stimme bei der Wiederholung nicht befolgter Kommandos überschlägt und sein Blick zu zittern beginnt. Diese Figur weiß um ihre Unzulänglichkeiten und fürchtet sich davor, dass andere sie entdecken könnten. So zum Beispiel Kommissar Grandi. Obwohl er in dieser Rolle erst in der zweiten Hälfte angemessen häufig zu sehen ist, spielt Henry Silva doch sein ganzes Können aus. Er verfolgt Sacchi kühl und berechnend und scheitert letztlich nicht an dessen Finesse, sondern – und hier hält sich Lenzi eng an die Genregrundlagen von Größen wie Damiano Damiani oder Steno – an der Korruptheit von Staatsanwälten und seinen Vorgesetzten. Er muss das Recht in die eigene Hand nehmen und richtet Sacchi letztlich auf der Straße. Anders als bei den Ebengenannten erscheint einem das aber fair – hier zeigt sich schon die Law-and-Order-Manier späterer Lenzi-Polizieschi.
Das alles verpackt Lenzi in eine unglaublich griffige Inszenierung. Der Film rast nur so an einem vorbei, schmeißt einen von einer unangenehmen Szene in die nächste und dabei pfeifen einem ständig Ennio Morricones Sounds durch das Ohr. Lenzi zwingt seine Zuschauenden, Sacchi hautnah zu folgen und maximiert so das Gefühl, viel zu nah an dessen Schandtaten dran zu sein. Das fühlt sich bei Weitem nicht immer gut an, zieht einen aber ungemein in den Film hinein; in einen – ich denke, das ist deutlich geworden – unheimlich guten Film.