FLUCHTPUNKT SAN FRANCISCO

Fluchtpunkt San Francisco
Vanishing Point | Großbritannien/USA | 1971
IMDb, OFDb, Schnittberichte

Der Auto-Überführer Kowalski (Barry Newman) soll einen Wagen von Denver nach San Francisco bringen. Eine Wette nötigt ihn allerdings dazu, die Strecke in weniger als 15 Stunden zu bewältigen, was zwangsläufig Probleme mit der Polizei mit sich bringt. Doch im Laufe der Jagd durch mehrere Staaten, solidarisieren sich immer mehr Leute mit dem Gejagten.

1969 fing Dennis Hoppers EASY RIDER das gegenwärtige US-amerikanische Lebensgefühl ein, wie kaum ein anderer Film es je vermochte. Ganz ähnlich verhält es sich mit Richard C. Sarafians FLUCHTPUNKT SAN FRANCISCO, nur dass sich zwei Jahre später schon deutlich mehr Zynismus in die ganze Geschichte mischt. Der Schwung der Hippie-Ära war verblasst, der Vietnamkrieg nicht gestoppt. Die ehemalige Gegenkultur der Liebe verlor sich mehr und mehr in einzelnen Oasen, war aus der Mitte der Gesellschaft verschwunden.
In dieser Zeit fiel Sarafian ein Drehbuch des Kubaners Guillermo Cabrera Infante in die Hände. Das unter dem Pseudonym Guillermo Cain verfasste Script legte den Fokus stark auf ebendiese verdrängten Gegenkulturen und errang so sofort Sarafians Interesse. 20th Century Fox stellt dann runde 1,5 Millionen US-Dollar Budget zur Verfügung und der Studioboss Richard Zanuck schlug Barry Newman für die Hauptrolle vor. Damit wurde Sarafians erste Wahl – Gene Hackman – übertrumpft und der Film bekam seinen markanten Hauptdarsteller. Ebenfalls Zanucks Idee war es, den weißen 1970er Dodge Challenger R/T zum zweiten Hauptdarsteller des Films zu machen.

Mädel: Wär’s nicht komisch, wenn du mich verhaften müsstest? Ich biete dir einen Joint an und du mir ‘ne Gemeinschaftszelle …

Denn diese Beiden stellen den unanzweifelbaren Kern eines Films dar, dessen Drehbuch auf den ersten Blick allzu reduziert wirken mag. Denn die Geschichte ist mit der oben stehenden Synopsis de facto gänzlich erfasst. Die Fahrt nach San Francisco ist der Kern des Films, der Grund nebensächlich. Bei genauerem Hinsehen offenbaren jedoch die Rückblenden ähnlich große Bedeutung, formulieren sie doch die ansonsten äußerst schweigsame Hauptrolle weitgehend aus. Durch diese Flashbacks wird aus dem wortkargen Kowalski eine gescheiterte Existenz, die vom ehrenhaft entlassenen Soldaten erst zum unehrenhaft entlassenen Polizisten wurde, bevor der Weg dann zur Rennfahrerkarriere und schließlich zum drogennehmenden Auto-Überführer führt. Der amerikanische Traum spielt sich hier rückwärts ab und endet im tristen Hier und Jetzt. So erhält der Film eine sehr interpretierbare Tiefe, die der grundlegenden Storyline kaum anzumerken ist.

Dazu bei tragen auch die verschiedenen auftretenden Außenseiter, die Kowalski immer wieder aus der Patsche helfen. Egal ob Hippie, einsamer Hinterwäldler oder christlicher Einsiedler, alle Nicht-Konformen Daseinsformen solidarisieren sich mit dem Anti-Helden und tragen so zum äußerst deutlich anti-autoritären Tenor des Films bei. An der Spitze dieser Helferschaft steht dann sicherlich Cleavon Little in der Rolle des blinden Radiomoderators Super Soul. Dieser hilft Kowalski immer wieder per Radiodurchsage, bis er schließlich von einer Meute aus entfesselter Polizei und wildem Mob per Gewalt davon abgebracht wird. Aber auch diese Intervention hat nur kurzfristig bestand, der Pöbel kann die Hilfestellung Super Souls schließlich nicht aufhalten.

Super Soul: Aber es steht geschrieben: Wenn der Geist des Bösen die Gabe hat, den Tiger mit Krallen zu bewaffnen, wird Brahma der friedlichen Taube Flügel schenken! So sprach der Super-Guru!

Diesen kurzen Sequenzen stehen dann immer wieder ausführliche Einstellungen gegenüber, die Kowalskis Fahrt durch die Staaten Utah, Nevada und Kalifornien dokumentieren. Allerlei Verfolgungsjagden und andere skurrile Ereignisse unterbrechen die Fahrten zwar regelmäßig, aber der Fokus bleibt auf dem weißen Challenger, der durch die rote Wüste fegt. In unzähligen atemberaubenden Aufnahmen fängt Sarafian die Wüste zusammen mit seinem Kameramann John A. Alonzo – der sein Können 1983 mit DAS FLIEGENDE AUGE und SCARFACE – TONI, DAS NARBENGESICHT weiterhin demonstrieren sollte – ein und ergeht sich geradezu in den wundervollen Landschaftsaufnahmen. Immer wieder erfindet sich die Kamera dabei neu, keine Einstellung wirkt wie die andere. Langeweile kommt nie auf, immer steht des Zuschauers Mund offen.
Dabei fällt vor immer wieder die technische Brillanz auf mit der die einzelnen Sequenzen umgesetzt wurden. Trotz diverser Tricks und veränderten Ablaufgeschwindigkeiten, fühlt sich der Film ständig echt und real an. Die Versatzstücke passen derart perfekt zusammen, dass der Streifen ein unglaublich intensives Geschwindigkeitsgefühl entwickelt. Die Verfolgungsjagden werden so zu beeindruckenden Szenen, die auch bei der dritten und vierten Betrachtung noch fesseln können. Eine Fähigkeit, die beileibe nicht jeder Action-Films dieses Alters aufweist.

Und wenn nun schon mehrfach erwähnt wurde, dass der Film das Gefühl eines Freiheitssuchenden nahezu perfekt einfängt, dann darf die Rolle der Musik dabei nicht unerwähnt bleiben. Kaum eine Szene kommt nämlich ohne ebensolche aus und was die Abteilung Sounddesign – und letztlich wahrscheinlich auch Sarafian per persönlichem Geschmack – da letztendlich zusammengezaubert hat, sucht wahrlich seinesgleichen. Eine wundervolle Zusammenstellung verarbeitet die Optik des Films wundervoll im klanglichen Bereich und rundet das Erlebnis erst richtig ab. Und wenn das ebenso bittere wie wundervolle Finale zu Bob Segarinis und Randy Bishops Over Me über die Leinwand flimmert, dann ist es schier unmöglich, nicht davon ergriffen zu sein.

Super Soul: Du kannst die Polizei besiegen, du kannst die Straße besiegen und du kannst sogar die Uhr besiegen, aber die Wüste besiegst du nicht!

Genau das war aber bei den US-amerikanischen Kritikern zunächst der Fall, die dem Film Ereignis- und Ziellosigkeit vorwarfen. Das sorgte dann dafür, dass 20th Century Fox den Streifen schnell wieder aus den Kinos nahm und ihn schon als Misserfolg verbuchen wollte. Erst die positiven Meldungen aus Europa, wo der Film ein großer Erfolg war, brachten ein Umdenken und sorgten für eine Wiederaufführung zusammen mit William Friedkins BRENNPUNKT BROOKLYN (1971), im Zuge derer der Streifen dann doch den gebührenden (monetären) Erfolg einheimsen konnte. In der Folge entwickelt sich FLUCHTPUNKT SAN FRANCISCO dann zum immer wieder aufgeführten Klassiker des Drive-In-Kinos.
Und genau da gehört ein Film auch hin, der wie kein anderer an ein Gefühl appelliert: An Freiheit und Rebellentum, an die bedingungslose Suche nach Ungebundenheit. So findet Kowalski schließlich lächelnd den Tod; und wer in diesem Moment nichts spürt, dem ist nicht mehr zu helfen.

Großartiges Werk, welches das Verlangen nach Freiheit wie kaum ein anderes in Bild und Ton fasst. Dazu entwickelt der Film aus einer oberflächlich betrachtet einfachen Geschichte ein gedankenreiches Konstrukt mit einer großen gesellschaftlichen Gesamtkritik. Grandios!

2 Antworten zu “FLUCHTPUNKT SAN FRANCISCO

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