DER TOD TRÄGT SCHWARZES LEDER

Der Tod trägt schwarzes Leder
La Polizia chiede aiuto | Italien | 1974
IMDb, OFDb, Schnittbericht

Nachdem Inspektor Valentini (Mario Adorf) die Leiche eines jungen Mädchens findet, sieht zunächst alles nach Selbstmord aus. Doch als sich herausstellt, dass es sich um Mord handelt, übernimmt Inspektor Silvestri (Claudio Cassinelli) zusammen mit der Staatsanwältin Vittoria Stori (Giovanni Ralli). Schnell kommen die beiden auf die Spur eines kriminellen Ringes, der junge Mädchen zur Prostitution drängt.

Bereits in seinem 1972 veröffentlichten (und in Deutschland der EDGAR WALLACE-Reihe zugerechneten) DAS GEHEIMNIS DER GRÜNEN STECKNADEL streift der Regisseur Massimo Dallamano das Thema Kindesmissbrauch. Zwei Jahre später sollte er dann ein Script verfilmen, welches er zusammen mit Ettore Sanzò verfasst hatte und welches dieses Thema in den Mittelpunkt rückt. Damit nahmen sich die Beiden eines aktuellen gesellschaftlichen Streitthemas an, hatte die Entwicklung der Anti-Baby-Pille doch erst wenige Jahre zuvor die sexuelle Revolution und folglich einen freieren Umgang von jungen Menschen mit diesem Thema ermöglicht. Personifiziert wird das in der Rolle der Silvia Polvesi, einem 15-jährigen Mädchen, das sehr offensiv mit seinem Sexualleben umgeht und letztlich den Tod findet, weil sie sich mit einem kriminellen Ring einlässt, der junge Mädchen prostituiert. Dieses heikle Thema fasst der Film dabei mit einer gekonnten Mischung zwischen dezenten Hinweisen und sehr plakativen Szenen an. Folglich wird die Thematik selten in Richtung Sensation getrieben, aber wenn das der Fall ist, dann auch richtig. So kommt der Film zu einer seiner stärksten Szenen, wenn sich Inspektor Silvestri und die Staatsanwältin Stori die Tonbandaufnahmen der Missbrauchsfälle anhören. An Stellen wie diesen reizt der Film die Explosivität seines Sujets vollends aus und suhlt sich unverhohlen in diesem Schmuddel-Milieu.

Silvestri: Bitte eine Frage nach der anderen oder ich sage überhaupt nichts. Reporter: Ja, weil Sie nämlich sowieso nichts wissen!

Formal schlägt der Film dabei vornehmlich den zu jener Zeit in ihrer Blüte stehenden Poliziotteschi nach, die sich durch Streifen wie DER CLAN, DER SEINE FEINDE LEBENDIG EINMAUERT (1971), MILANO KALIBER 9 (1971) und DAS SYNDIKAT (1972) etabliert hatten. Im Mittelpunkt steht der Inspektor Silvestri, der jedoch mehr mit der Hilf- und Interessenlosigkeit seiner eigenen Behörde ringt, als mit Verbrechern selbst. Dazu kommen die Medien, die die polizeiliche Arbeit überkritisch verfolgen und eine ebenfalls nicht immer hilfreiche Staatsanwaltschaft. Auch der Umstand, dass die final gewonnen Erkenntnisse nicht genutzt werden können, weil sie hochrangige Staatsdiener betreffen, stimmt mit dem im Genre tief verankerten Pessimismus überein. Dallamano inszeniert diesen Stoff dann flott und abwechslungsreich. Die Story rast stellenweise nur so voran und jongliert geschickt mit Action- und Dialogsequenzen. Den ganz großen Kniff stellt allerdings der Einfall dar, den Film um einige Elemente des Giallo zu erweitern. Der unbekannte, in Leder gewandte Killer stellt hier sicherlich die augenscheinlichste Formalie dar, aber auch die zum Mord verwendete Klinge, der sexuelle Subtext und einige farbintensiv ausgeleuchtete Jagdszenen schlagen deutlich in diese Richtung. Das macht den Film nicht nur für Freunde italienischer Film-Genres interessant, sondern erweitert vor allem die Bandbreite seiner Stilmittel, was noch mal zum großen Tempo und Facettenreichtum des Films beiträgt.

Die Hauptrolle gibt dann Claudio Cassinelli, für den dieses Engagement zusammen mit dem Nunsploitation-Reißer CASTIGATA – DIE GEZÜCHTIGTE (1974) den ersten Schritt im Spielfilmbusiness darstellte. Leider merkt man das der Leistung auch an, sodass der Charakter etwas flach daherkommt. Außer Wutausbrüchen und Beleidigungen kann Cassinelli zunächst nicht viel bieten, erst gen Ende bricht die raue Schale und Cassinelli kann sein ohne Frage vorhandenes Können auch beweisen. Daneben gibt Giovanna Ralli, die bereits 1960 mit Roberto Rossellinis Kriegs-Drama ES WAR NACHT IN ROM Bekanntheit erlangte die engagierte Staatsanwältin Vittoria Stori. Dabei trumpft Ralli so richtig auf und ist an einer Unzahl einprägsamer Momente beteiligt. Ständig zwischen Objektivität und Anteilnahme hin und her gerissen mausert sie sich so zur heimlichen Hauptrolle des Films. Ganz im Gegenteil zu Mario Adorf, der hier zwar als betroffener Vater überzeugt, allerdings im Vergleich zu der Größe seines Namens auf diversen Werbemitteln eine relativ kleine Rolle besetzt. Mit Nebenrollen wie Marina Berti oder Franco Fabrizi ist der Streifen übrigens auch in den Details gut besetzt und muss sich so in Sachen Cast sicherlich nicht verstecken.

Arzt: Er hat zu viel Blut verloren, verliert es immer noch … Silvestri: Umso schneller brauch‘ ich seine Antwort!

Gleiches gilt für die Musik von Stelvio Cipriani, der hier sein volles Können unter Beweis stellt. Hatte er gerade noch Mario Bavas IM BLUTRAUSCH DES SATANS (1971) mit dem passenden Sound versehen, so liefert er nun einen dezenten, aber immer stimmigen Klang für Dallamanos Werk. Dabei sind die wirklich lauten Stellen an wenigen Fingern abzuzählen, wirken dafür aber umso imposanter. Da der Film sich ansonsten auch nicht vor einigen expliziten (in ihrer Machart jedoch charmant dilettantischen) Gewaltszenen scheut, findet sich hier letztlich eine wundervolle Mischung aus Poliziottesco-Action, Giallo-Stil und exploitativem Grundthema. Dallamano verschmilzt dass alles auf knappen 90 Minuten zu einem wilden Ritt durch das italienische Kino, wie man ihn sich toller kaum wünschen kann. Egal, welchem Genre man den Film nun letztlich zuordnet – wie fast immer trifft man sich wohl am besten in der Mitte – ganz vorne spielt der Film auf jeden Fall mit.

Dallamanos flott und abwechslungsreich inszenierte Mixtur als Poliziottesco und Giallo schafft es, das heikle Thema Kindesprostitution gekonnt zwischen Ernst und Exploitation darzubieten und kann so vorbehaltlos überzeugen. Für Italo-Freunde Pflicht!


Antworten

  1. Filmforum Bremen » Das Bloggen der Anderen (16-06-14) – Doppelausgabe

    […] wunderbare Mischung aus Giallo und Polizeifilm bespricht totalschaden auf Splattertrash, nämlich einen meiner persönlichen Lieblinge: „Der Tod trägt […]

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  2. Avatar von DIE RECHTE UND DIE LINKE HAND DES TEUFELS | SPLATTERTRASH
    DIE RECHTE UND DIE LINKE HAND DES TEUFELS | SPLATTERTRASH

    […] vor allem durch sein Mitwirken in Monteros SCHÖN, NACKT UND LIEBESTOLL (1972) sowie Dallamanos DER TOD TRÄGT SCHWARZES LEDER (1974) […]

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  3. Avatar von HERKULES | SPLATTERTRASH
    HERKULES | SPLATTERTRASH

    […] abräumen konnte, brilliert als niederträchtige Ariadne. Legendär auch Claudio Cassinellis, in DER TOD TRÄGT SCHWARZES LEDER (1974) oder MORTE SOSPETTA DIE UNA MINORENNE (1975) noch Aushängeschild, unglaubliche Darbietung […]

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    MORTE SOSPETTA DI UNA MINORENNE | SPLATTERTRASH

    […] Cassinelli schon ein Jahr zuvor in Massimo Dallamanos inhaltlich und formell ähnlich gelagertem DER TOD TRÄGT SCHWARZES LEDER (1974) zu sehen […]

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    JUNGE MÄDCHEN ZUR LIEBE GEZWUNGEN | SPLATTERTRASH

    […] NIGHT TRAIN – DER LETZTE ZUG IN DIE NACHT auch an Massimo Dallamanos Giallo-Poliziesco-Mixtur DER TOD TRÄGT SCHWARZES LEDER (1975) beteiligt gewesen ist. Die szenische Ausarbeitung fiel wiederum Romano Migliorini zu, der […]

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  6. Avatar von SO SCHÖN – SO NACKT – SO TOT | SPLATTERTRASH
    SO SCHÖN – SO NACKT – SO TOT | SPLATTERTRASH

    […] nur einiges an Eigenständigkeit (auch wenn Massimo Dallamano diese Idee zwei Jahre später mit DER TOD TRÄGT SCHWARZES LEDER (1974) deutlich ausgereifter umsetzen sollte), sondern übertüncht auch einige inhaltliche […]

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    […] allem durch sein Mitwirken in Monteros SO SCHÖN – SO NACKT – SO TOT (1972) sowie Dallamanos DER TOD TRÄGT SCHWARZES LEDER (1974) […]

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    DIE LETZTE RECHNUNG ZAHLT DER TOD | SPLATTERTRASH

    […] bei den Gesetzesbrechern einstellen. Claudio Cassinelli, berühmt für grandiose Auftritte in DER TOD TRÄGT SCHWARZES LEDER (1974) und MORTE SOSPETTA DI UNA MINORENNE (1975), tritt dabei als unberechenbarer Anführer Raul […]

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