Ein wunderschöner Sonntag
Subarashiki nichiyobi | Japan | 1947
IMDb, OFDb, Schnittberichte
1. Nachdem KEIN BEDAUERN FÜR MEINE JUGEND (1946) vor allem die Idee des Aufgehens in der Gemeinschaft als Umgang mit den Nachkriegswirren und -problemen thematisierte, kredenzt Kurosawa – seinem Ruf als Wandler zwischen Orient und Okzident mehr als gerecht werdend – ein Jahr später das genaue Gegenteil. In EIN WUNDERSCHÖNER SONNTAG finden Yuzo (Isao Numasaki) und Masako (Chieko Nakakita) ihr Glück in sich selbst, (fast) unzugänglich für alle anderen. Die Geschichte des Pärchens im Nachkriegstokio ist lange durch den Gegensatz von Samakos Heiterkeit im Angesicht des Elends und Yuzos trostlose Niedergeschlagenheit geprägt. Erst das Erreichen des völligen Tiefpunkts der Beziehung löst eine Reaktion aus, die bis zum Finale zu einem Aufblühen beider in der Überzeugung führt, ihr Schicksal selber steuern und ihre Träume wahr werden lassen zu können. Der Traum der Selbstverwirklichung mittels bedingungsloser Liebe und kapitalistischem Tatendrang steht der erfüllenden Gruppen-Feldarbeit im Finale von KEIN BEDAUERN FÜR MEINE JUGEND diametral entgegen.
2. Kurosawa strotzt bei diesem Film vor Selbstbewusstsein und nimmt sich immer die Zeit, die er braucht. Wäre die Beziehung von Samako und Yuzo eigentlich nach der Besichtigung des Fertighauses skizziert, so führt er deren Ausgestaltung doch noch 30 Minuten fort. Immer wieder blitzt auch bei Yuko Humor auf, der jedoch stets wieder von der Realität erstickt wird. Samakos Wunsch, die Oper zu besuchen scheint schließlich die trüben Gedanken zu vertreiben – doch dann schlägt die Welt in Form des Nachkriegsschwarzmarktes erneut unerbittlich zu. Aus diesem letzten Niederschlag entlässt uns Kurosawa nicht, sondern schickt uns in eine ellenlange Szene, in der beide im Zimmer knien, sich fremd werden und schließlich scheiden. Nach weiterem Warten kehrt Samako zurück und bricht weinend zusammen. Minutenlang hört man nur ihr Schluchzen und fühlt dabei Yukos inneren Wandel: Nie wieder soll Samako so leiden, nie wieder will er Grund dafür sein. Und auch im bekannten Finale nimmt sich Kuroawa die Zeit, Yuzo erst minutenlang gegen den Wind kämpfen zu und dann Schuberts Unvollendete dirigieren zu lassen. Und jede Minute weniger hätte geschadet; es ist dieses Auskosten, dieses Ernstnehmen, das den genannten Szenen erst ihre Tiefe schenkt.
3. Die ungewöhnlich episodische Struktur des Films ermöglicht es Kurosawa, allerlei inszenatorisch geschlossene Szenen aufzuführen. Grandios die Einstellung, in der ein Vermieter, immer wieder vom mahnenden Blick seines Chefs unterbrochen, in drastischen Worten vor dem Zimmer, das er vermieten soll, warnt. Gleich darauf wird Yuzo im Spiel mit Straßenkindern selber zum Kind, nur um Minuten später in einer skurrilen Kellerbar gratis bedient zu werden, da er den Chef zu kennen behauptet. All diese Szenen tragen ihre höchsteigene Stimmung vor und steigern sich, bis das Pärchen schließlich seinen Traum-Coffee-Shop in die Ruinen Tokio zeichnet und einen Besuch nachspielt. Inszenatorischer Höhepunkt des Films ist dann natürlich Samakos direkte Ansprache des Publikums und das anschließende Verschmelzen der Traumwelt des Pärchens mit dem Ton im Kinosaal: Schubert Unvollendete erklingt. Ich würde viel dafür geben, eine Vorstellung zu erleben, in der das Publikum tatsächlich applaudiert – aber auch ohne diese Krönung ist EIN WUNDERSCHÖNER SONNTAG eine Perle: wenn Yuzo und Samako am Ende ihres Sonntags schweigend auf dem Bahnsteig sitzen, muss man sich nur ihrer Worte entsinnen: „Wenn ich glücklich bin, rede ich wenig.“