EINE WAHRE GESCHICHTE – THE STRAIGHT STORY

Eine wahre Geschichte – The Straight Story
The Straight Story | USA | 1999
IMDb, OFDb, Schnittberichte

David Lynchs THE STRAIGHT STORY steckt voller Mut. Es sei zum Beleg zunächst der Inhalt betrachtet. Ein vom Alter gezeichneter Alvin Straight (was übrigens auch auf den zu diesem Zeitpunkt bereits unheilbar an Krebs erkrankten Schauspieler Richard Farnsworth zutraf) will seinen Bruder besuchen und absolviert die Reise mangels anderer Optionen per Rasenmäher. Zwischendurch trifft er ein paar andere Menschen und tauscht sich mit ihnen aus. Oft sind die Gespräche von Interesse und Respekt geprägt. Manchmal streikt der Mäher, kann dann aber repariert werden, manchmal regnet es, aber eine Scheune bietet Unterschlupf. Ach ja, vor Reiseantritt muss Alvin auch noch einen mechanischen Greifarm kaufen, denn er kann sich schlecht bücken. Am Ende erreicht er seinen Bruder und der freut sich. Dass David Lynch, der sich über seine Karriere hinweg den Ruf erarbeitet hat, ansonsten deutlich weniger staighte Filme zu drehen, diese Geschichte verfilmte, mag wie oft vermutet verschiedene Gründe haben: Vielleicht reizte es ihn, endlich mal nicht selber das Drehbuch zu schreiben. Oder er wollte seinen Kritikerinnen und Kritikern zeigen, dass er nicht nur Verdrehtes meisterlich beherrscht. So oder so ist es vor allem mutig, eine so simple, so unaufgeregte und völlig wendungsfreie Geschichte zu erzählen. Denn diese Story trotz der Absenz sämtlicher Techniken, die einer Geschichte sonst Drive verliehen, trotzdem spannend zu erzählen gelingt nur, wem es wirklich ernst damit ist. Und wie es hier gelingt.

Deutlich wird das immer wieder in der Ruhe, mit der Lynch seine Figuren agieren lässt. Wenn Farnsworth elendig langsam von seinem Mäher kraxelt, um seinen Stock vom Anhänger zu holen, dann dauert das schon mal ein, zwei Minuten. Ohne Schnitt, ohne Sonstwas. Egal ob Sissy Spacek erzählt oder die Landschaft etabliert wird: der Film lässt sich bei jeder Szene genau so viel Zeit, wie er braucht. Entsprechend wenig Schnitte sind nötig, es muss nichts „Unnötiges“ entfernt werden. Hier ist alles nötig. Wenn Richard Farnsworth in einer der eindringlichsten Szenen des Films an einer Bar sitzt und mit einem ihm Unbekannten über Kriegserfahrungen redet, dann gibt es eigentlich nur Klischees zu hören, bis Alvin dem Fremden plötzlich sein dunkelstes Geheimnis anvertraut. Doch weder langweilen die Klischees, noch erstaunt einen die plötzliche Offenheit: Stattdessen sorgt die minutenlang einfach starr die beiden Männer filmende Kamera dafür, dass eine unfassbare Intensität entsteht. Die Zuschauenden sitzen gefühlt auf der anderen Seite der Theke und lauschen dem Gespräch. Sie starren die Männer an, sehen jede Regung. Zweifelsfrei ist auch das Schauspiel von allererster Güte, aber eben auch das Formale. Es ist mutig.

Aus heutiger Perspektive lässt sich der Film zudem noch als gelungener Kommentar zu allen den Reise-Influencern lesen, die ständig jedes Detail ihrer durchgestylten Trips posten müssen. Alvin reist alleine, ohne Dokumentation, ohne andere zu informieren. Er reist durch eine ihm bekannte Umgebung und genießt trotzdem jede Sekunde. Er genießt das reine Unterwegssein. Er wird seinen eigenen Worten gerecht: „Diese Reise muss ich allein machen“.

Eine Antwort zu “EINE WAHRE GESCHICHTE – THE STRAIGHT STORY

  1. Vor kurzem selber wieder entdeckt. Für mich persönlich Lynchs schönster Film, voller Ruhe und Wärme. Erzählt wird ja nicht nur die Geschichte einer Reise, sondern auch die einer Aussöhnung, weil am Ende das Tages, viele Streitigkeiten einfach nur Banalitäten sind und das einzig wirklich Wichtige im Leben, Werte wie Familie, Freundschaft und Liebe sind.

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