LAß JUCKEN, KUMPEL

Laß jucken, Kumpel
Laß jucken, Kumpel | Deutschland | 1972
IMDb, OFDb, Schnittberichte

Bergmann Heiner Lenz (Michel Jacot) hat ein Problem: Nach der harten Arbeit unter Tage will es im Bett bei seiner Gisela (Anne Graf) nicht mehr so recht klappen. Stattdessen muss er sich den ganzen Tag die erotischen Ausschweifungen seiner Kollegen anhören, die die ungeschönte Wirklichkeit hinter den grauen Wänden des Ruhrpotts schonungslos offenlegen.

Nachdem der Amateurboxer Hannes Henning Clear, gemeinhin unter seinem illustren Spitznamen Moppel bekannt, als Beamter bei der Berliner Polizei aus dem Dienst geschieden war, verschlug es ihn ins Ruhrgebiet, wo er sich fortan als Bergmann verdingte. Die Kultur und die Menschen dieses arbeitsamen Langstrichs riefen bei Clear dann eine derartige Faszination hervor, dass er ihnen das Buch Lass jucken, Kumpel zu Teil werden ließ. In diesem Werk, welches sich innerhalb weniger Wochen nach seiner Veröffentlichung im Mai 1972 in den Bestsellerlisten wiederfand, skizziert Clear ein Bild der Kumpel, das von Alkohol, Arbeit und Sex geprägt ist, aber auch einen durchaus vorhandenen Hang zur Darstellung der sozialen Gegebenheiten jener Tage hat; wenn auch nur am Rande.
Der deutsche Filmproduzent Ludwig Waldleitner kaufe dann sogleich die Filmrechte an dem Werk nur um festzustellen, dass seine Tätigkeit als Vorsitzender der Initiative Aktion Saubere Leinwand es ihm nur schwerlich gestattete, einen derart gelagerten Film tatsächlich zu produzieren. Also verscherbelte er die Rechte für 30.000 DM an seinen Kollegen Gunter Otto, der nicht von derlei Professionen ausgebremst wurde. Dass Ludwig sich trotzdem die Rechte für die Auslandsverwertung sicherte zeigt aber, dass es das Potenzial des Stoffes durchaus erkannt hatte.

Ingrid: Eine Stunde mit Papierkleiderzerreißen, 150 für beide!

Otto schrieb dann zusammen mit dem mehr oder minder willkürlich engagierten Regisseur Franz Marischka, der sich bis dato vor allem mit Heimatfilmen und der ein oder anderen TV-Produktion durchgeschlagen hatte, ein Drehbuch, das sich einigermaßen an der Vorlage orientiert. Tatsächlich suggeriert die Eröffnungsszene durchaus jenen – dem Buche immer wieder angedichteten – Wesenszug, die gesellschaftlichen Probleme des Ruhrgebiets zu schildern. Da läuft der Protagonist Heiner Lenz die Straße hinab, zwischen grauen Zechenhäusern und über nassen Asphalt und der Betrachter lauscht seinen im Stakkato vorgetragen Litaneien über das Leben als Bergmann. Hier entsteht tatsächlich der Eindruck, der Film erhebe den Anspruch, sich den grauen Alltag ganzer Generationen zum Thema machen zu wollen.

Doch schon nach wenigen Minuten ändert sich das Bild völlig und sobald Heiner seine Stammkneipe betritt (was zuvor durch wundervolle Kameraschwenks vorbereitet wird), findet der Film zu seinem wahren Ton: Alkohol und Gespräche über Sex werden schnell von der Ausübung des letzteren abgelöst. Fortan präsentiert Marischka zahlreiche episodische Sequenzen, die das Liebesleben der verschiedenen Protagonisten darstellen. Dabei wird das Bergmann-Setting zwar nie aus den Augen verloren, triviale Schauwerte stehen aber doch zu jeder Zeit im Vordergrund.
Trotzdem erwartet insbesondere mit dem Ruhrgebiet vertraute Zuschauer eine wahre Vielzahl an tollen Zeitzeugnissen und Details. Neben Sex und Bier ist so auch der Fußball präsent, Eckkneipen bestimmen das Bild, Gastarbeiter mischen fröhlich mit und der Obersteiger bedeutet stets Ärger. Innenaufnahmen in engen Zechenwohnungen und die ein oder andere Einstellung unter Tage sorgen für ein Flair, welches – auch ohne den Anspruch explizit zu machen – das Ruhrgebiet jener Tage durchaus trefflich zeichnet.

Georg: Heiner, altes Kumpelschwein, lange nicht gesehen, wie geht’s?
Heiner: Ach, alles scheiße!

Die zahlreichen Softsexszenen fallen dabei weitestgehend harmlos aus. Ähnlich wie in der zwei Jahre zuvor begründeten Reihe SCHULMÄDCHEN-REPORT nutzt der Film den Umstand, dass der öffentliche Umgang mit (Soft-)Erotik sich zunehmend entspannte und präsentiert so allerlei – aus heutiger Sicht völlig harmlose – Begebenheiten, die damals jedoch für Staunen sorgten. Wirklich explizit wird es dabei nie, eine kurze Aufnahme eines erigierten Glieds stellt schon den mit Abstand explizitesten Moment des Films dar.
Die Hauptrolle wurde Michel Jacot zugedacht, der zuvor schon mit Kleinstrollen in Produktionen wie EHEPAAR SUCHT GLEICHGESINNTES (1969) oder PORNO-REISE ZUR SEX-GÖTTIN (1970) Erfahrung gesammelt hatte. Während Jacot aufgrund der seiner Rolle angedachten Potenzprobleme eine einigermaßen ernsthafte Rolle bekleidet, sind fast alle übrigen Auftretenden bloße Karikaturen. Natürlich ist auch Softsex-Experte Rinaldo Talamonti mit von der Partie und gibt hier seine in den 70er Jahren gleich dutzendfach präsentierte Standardrolle als italienischer Lüstling; wie immer völlig übertrieben und mit Klischees angereichert. Die übrigen Mimen stellen mit Namen wie Anne Graf, Walter Kraus, Birgit Bergen oder auch Astrid Frank ein Who-is-who des deutschen Schmuddelfilms dar; die darstellerischen Leistungen entsprechen dieser Titulierung.

Und tatsächlich lockte Marischkas mit massig Ruhrpott-Dialekt angereicherte Bergsteiger-Klamotte knappe vier Millionen Besucher in die bundesdeutschen Kinos, was den Streifen auf Platz fünf der erfolgreichsten Filme des Jahres 1972 katapultierte. Ein Jahr später gab es dafür folgerichtig die Goldene Leinwand und so stellt der Streifen einen weiteren Gewinner der Sexwelle der frühen 70er Jahre dar. Natürlich setzte das Team Marischka/Otto das Konzept der KUMPELFILME fort und lieferte in den folgenden zwei Jahren noch vier weitere Streifen. Interessant ist daran, dass diese in Sachen expliziter Darstellung immer weiter zunahmen und es sich beim fünften Teil der Reihe, TÄGLICH BLASMUSIK IM HINTERHAUS (1974), schließlich um einen hardcorepornographischen Film handelt. So zeichnet die Reihe der KUMPELFILME wie kaum eine andere die Entwicklung der Erotik im Unterhaltungsbereich Film in der Bundesrepublik nach.

Lilo: Oh, Lucky, nich‘ mit die Finger, der Georg darf das auch nicht!

Im Ausland nahm man diese Entwicklung übrigens vorweg. Denn während der Streifen in zahlreichen Ländern rund um den Globus in seiner Originalfassung Erfolge verbuchen konnte, schnappte sich der US-amerikanische Produzent Lane Carroll den Streifen und reicherte ihn mit einigen nachgedrehten Hardcore-Schnipseln an. Dass er die Produktion dieser allerdings den deutschen Rechteinhabern in Rechnung stellte (was diesen Kosten von rund 150.000 US-Dollar einbrachte), war ein weiteres Argument für Marischka und Otto, diese Arbeit in Zukunft gleich selbst zu übernehmen.
Letztlich stellt LAß JUCKEN, KUMPEL eines der herausragenden Beispiele der (Soft-)Sexwelle des deutschen Kinos dar. Vor allem die Verortung im Ruhrpott-Milieu verschafft ihm eine exponierte Position innerhalb des Genres und macht ihn auch heute noch zu einem Genuss für Freunde des Schmuddelfilms und/oder der Bergarbeiterkultur. So kommt auch Franz Marischka im offiziellen Werberatschlag zum Film selbst zu dem Schluss: „Mag sich auch mancher Spießer über den Film ‚Laß jucken, Kumpel‘ aufregen, mag sich mancher darin wiedererkennen: ich finde, dieser Film ist, wie sein Buch, notwendiger als viele andere Bücher und Filme unserer Tage.“

Die gelungene Verquickung von Schmuddel-Ambiente und Ruhrpott-Milieu sorgt für ein durchweg unterhaltsames Filmerlebnis, welches sich so einen erhabenen Platz innerhalb des deutschen Genrekinos sichern konnte und diesen bis heute behaupten kann.


Antworten

  1. Avatar von SCHULMÄDCHEN-REPORT, 4. TEIL – WAS ELTERN OFT VERZWEIFELN LÄSST | SPLATTERTRASH
    SCHULMÄDCHEN-REPORT, 4. TEIL – WAS ELTERN OFT VERZWEIFELN LÄSST | SPLATTERTRASH

    […] SEINE MÄDCHEN (1969), DR. FUMMEL UND SEINE GESPIELINNEN (1969) oder Franz Marischkas Erfolgsfilm LASS JUCKEN, KUMPEL (1972) einen Namen im Genre gemacht hatte – stützt sich dabei auf billige Klischees und alberne […]

    Like

  2. Avatar von LAß JUCKEN, KUMPEL 2: DAS BULLENKLOSTER | SPLATTERTRASH
    LAß JUCKEN, KUMPEL 2: DAS BULLENKLOSTER | SPLATTERTRASH

    […] von Franz Marischka nach einem Roman von Hannes Henning Clear gedrehte LAß JUCKEN, KUMPEL (1972) hatte 1973 gerade die Goldene Leinwand eingeheimst, als der ebenfalls von Marischka […]

    Like

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..