Die letzte Rechnung schreibt der Tod
Milano violenta | Italien | 1976
IMDb, OFDb, Schnittberichte
Kaum haben vier gesetztesuntreue Kumpane einen Überfall vollführt, läuft ihnen das Dingen auch schon aus dem Ruder. Während Walter (Vittorio Mezzogiorno) und Tropea (Biagio Pelligra) sich mit der Kohle gerade noch rechtzeitig vom Ort des Geschehens verdrücken können, gelingt dies Raul (Claudio Cassinelli), dem Kopf der Bande, nur unter größter Anstrengung. Fortan traut in der Bande keiner mehr keinem und es entbrennt ein tödlicher Kampf um die Beute.
Nachdem er seine Italowestern-Karriere mit dem Eastern-Western-Blödelei-Gemisch DER MANN MIT DER KUGELPEITSCHE (1972) beendet hatte, fand Mario Caiano mittels … A TUTTE LE AUTO DELLA POLIZIA (1975) Eingang in den Poliziesco. Im Gegensatz zu den meisten Vertretern dieses gerade in seiner Blütezeit stehenden Genres konzentriert sich Caiano danach in seinem selbstverfassten Drehbuch zu seinem zweiten Genrebeitrag aber weniger auf den Kampf eines Polizisten gegen Unholde und rechtliche Zwänge, sondern richtet den Blick deutlich stärker auf die Protagonisten auf der unehrenhaften Seite – eine gute Portion Gangsterfilm-Konzept begleitet die Zuschauenden also durch die düsteren Straßen Mailands.
Walter: Wenn du mich noch einmal Mörder nennst, mach ich dich kalt, du Drecksschwein!
Das geht soweit, dass Elio Zamuto, der hier den Kommissar Fausto gibt, schon nach wenigen Minuten erklärt, dass Gewalt in diesem Fall keine Lösung sein kann. Da hier also kein Konflikt bei den Gesetzeshütern vorzuliegen scheint, muss sich dieser ja zwangläufig bei den Gesetzesbrechern einstellen. Claudio Cassinelli, berühmt für grandiose Auftritte in DER TOD TRÄGT SCHWARZES LEDER (1974) und MORTE SOSPETTA DI UNA MINORENNE (1975), tritt dabei als unberechenbarer Anführer Raul Montalbani auf, der nach der ungeplanten Flucht vom Tatort gar kein Interesse mehr daran hat, sich mit seinen beiden Komplizen Walter und Tropea zu versöhnen. Dementsprechend haben der sehr straight spielende Vittorio Mezzogiorno und der sich vom Schisser zum eiskalten Mörder wandelnde Biagio Pelligra kaum eine Chance, ihren Chef von ihrer Redlichkeit zu überzeugen – ein Mordversuch tut dann sein Übriges. Dass das von John Steiner stimmig gespielte Nervenbündel Fausto leider schon früh das Löffelchen abgibt, ist indes schade.
Allerdings unterstreicht Faustos Ableben eindrücklich den rücksichtslosen Charakter des Films. Ständig springt hier jemand über die Klinge, stets geht es dabei beachtlich rau und explizit zu. Caiano zeichnet hier ein sehr eindringliches Bild von Perspektivlosigkeit und Tristesse. Die Straßen Mailands sind grau, der Himmel ist immer bedeckt und neben Bullen treten fast nur Kriminelle, Prostituierte und Halunken auf. Alle schlafen und leben im Dreck, einzig die Villa am Filmende bietet einen (im Endeffekt aber für keinen erreichenden) Lichtblick.
Mädel: Es handelt sich um einen alten Schlachthof. Es sind sogar Betten dort, wir gehen nämlich hin um zu bumsen.
Denn Caiano führt den Film konsequent einem Ende entgegen, welches das kriminelle Streben in Blut und Schmerz enden lässt. Und das ist noch nicht einmal die Folge der immer auf der rechten Seite bleibenden Arbeit der Polizei, sondern allein der Unfähigkeit der Protagonisten zu verdanken, zusammenzuarbeiten. Es ist bemerkenswert, dass der Film zu keinem Zeitpunkt mit dem Gedanken spielt, eine seiner Figuren auf die gute Seite wechseln zu lassen. Die Zuschauenden folgen bis zum bitteren Ende Figuren, die Gesetze brechen, die lügen, die betrügen und die töten. Eine Identifikation fällt somit schwer, macht das Dargebotene aber umso stimmiger. Nur einmal, wenn sich Raul mit der von Silvia Dionisio (Juliet aus HORROR-SEX IM NACHTEXPRESS (1980)) gegebenen Leila in (non-)verbalen Austausch begibt, droht der Film seinen Schwung und sein Ziel kurz aus den Augen zu verlieren – aber dann muss man sich eben für zehn Minuten mit dem äußerst schmissigen Soundtrack von Gianfranco Plenizio über Wasser halten.
Mario Caiano richtet das Augenmerk in seinem zweiten Poliziesco stark auf die Gangster und zeichnet ein tristes und auswegloses Bild von deren Versuch, per Kriminalität der Tristesse zu entfliehen – für die Zuschauenden gerät das jedoch äußerst kurzweilig und unterhaltsam.