TOD IN VENEDIG

Tod in Venedig
(Italien/Frankreich 1971)
IMDb, OFDb, Schnittberichte

Es ist seit jeher der langweiligste Spruch, der nach dem Besuch eines auf einer literarischen Vorlage basierenden Films getätigt werden kann: “Das Buch ist besser”. Denn diese – oft ohne Kenntnis der Vorlage, sondern lediglich als vermeintliches Fachwissen geäußerste – Aussage offenbart immer wieder das generelle Missverstehen von Literaturverfilmungen, deren Ziel es schon formal weder sein kann, die Vorlage wortgetreu abzubilden, noch, die Qualitäten des Lesens abzubilden. Vielmehr sollte eine gelungene Adaption darauf bedacht sein, ein Merkmal, einen Gedanken, eine Idee auf das Medium Film zu übertragen – oder gar eine eigene Sicht darauf zu entwickeln. Luchino Viscontis TOD IN VENEDIG darf dahingehend als Meisterwerk und Blaupause gleichermaßen gelten. Sich an Thomas Manns wohl gelungendster Novelle zu versuchen und ihr nicht nur gerecht zu werden, sondern genau die oben erwähnten Qualitäten aufzuweisen, ja im Genre zu etablieren, ragt wahrlich heraus.

Luchino Visconti erzählt die Geschichte Gustav von Aschenbachs (der hier zum gescheiterten Komponisten wird) mit äußerst wenigen Dialogen, von denen die meisten zudem Beiwerk bleiben. Lediglich die das Geschehen kommentieren (und von Visconti auf Grundlage von Thomas Manns Doktor Faustus selbst eingefügten) Rückblenden, in denen sich Aschenbach (Dirk Bogarde) mit seinem Freund Alfried (Mark Burns) unterhält und streitet, brechen hier aus. Sämtliche Gefühle und Regungen Aschenbachs werden ansonsten auf der bildlichen Ebene etabliert. Seine Blicke folgen Tadzio (Björn Andrésen), seine Nervosität spielt sich in Bogardes Gesicht ab und sein Ringen in seinen Händen. Zudem versetzt Kameramann Pasqualino De Santis die Zuschauenden immer wieder in die Rolle Aschenbachs und lässt sie an dessen schweifendem Blick teilhaben, der mitunter minutenlang durch den Frühstückssaal des Grand Hotel des Bains mäandert, um letztlich doch wieder an Tadzio haften zu bleiben. Die Betrachtenden werden hier ebenfalls zu Suchenden, zu Spähenden, zu Glotzenden – die am Ende zusammen mit Gustav den Blick abwenden.

Doch seiner Faszination für Tadzio folgend wendet die Hauptfigur ihren Blick irgendwann nicht mehr ab, sondern folgt ihrem Begehren durch das zunehmend von der Cholera gezeichnete Venedig. Scheint die Sonne selbst zu Beginn am Strand nicht, wird die Stadt im Laufe des Films immer mehr zu einem Ort des Todes. Visconti gelingt es meisterlich mittels weniger Szenen die allgegenwärtige Krankheit und Gefahr spürbar zu machen. Ein wenig Desinfektionsmittel hier, ein paar Plakate dort, etwas brennendes Papier und die Verschwiegenheit der Bewohnerinnen und Bewohner lassen die dräuende Gefahr wunderbar präsent werden. Im Angesicht des erstickend am Bahnhof zusammenbrechenden Mannes wird die Gefahr, der sich Aschenbach aussetzt, überdeutlich.

Und letztlich darf Dirk Bogardes Leistung als Gustav von Aschenbach nicht unerwähnt bleiben. Die oben beschriebene Konzeption des Films, seine Gefühle ohne lange Dialoge zum Ausdruck zu bringen, ist eine Herausforderung, in Anbetracht derer man Bogardes Leistung nur als außergewöhnlich bezeichnen kann. Exemplarisch dafür sei jene Szene erwähnt, in der Aschenbach beschließt, sich mittels Haarfarbe und Make-up zu verjüngen. Bogarde nimmt auf dem Stuhl des Stylisten Platz und wird sofort mit allerlei Sprüchen bombadiert, denen zufolge er das Richtige tue und er ein Recht auf jugendliches Aussehen habe. Doch im Gesicht des Behandelten spiegelt sich im gleichen Augenblick das Wissen, dass er hier einem hoffnungslosen Trug aufsitzt. Aschenbach weiß, dass es ein hoffnungsloses Unterfangen ist und so zeigt er am Ende der Prozedur auch kein Lächeln oder gar Strahlen, sondern blickt starr auf seine gräßliche, ja clowngleiche Fratze. Bogarde zeigt hier in wenigen Einstellungen eine unglaubliche Weite und Mischung an Emotionen; genau das, was Mann in seiner Novelle mit Worten macht, machen Visconti und Bogarde im Film mit Bildern – eine Literaturverfilmung, die sich jeder “Das Buch war besser”-Fachmensch verpflichtend ansehen sollte!

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