DAS SALZ SWANETIENS

Das Salz Swanetiens
Jim Shvante (marili svanets) | Sowjetunion | 1930
IMDb, OFDb

Wenn man heute ins georgische Uschguli, den Handlungsort von Mikhail Kalatozovs halb-inszeniertem Ethnographie-Dokumentarfilm, fahren möchte, dann lässt die unbefestigte Passstraße das nur zwischen April und Oktober eines jeden Jahres zu. Die Gebäude und Türme des 200-Seelen-Ortes haben sich seit 1930 kaum verändert, lediglich die diversen Geländefahrzeuge lassen erahnen, dass seit Kalatozovs Dreharbeiten hier über 90 Jahre vergangen sind. Und in der Regel wirkt in der Realität alles an dem Örtchen etwas freundlicher als im Film, denn Kalatozov eröffnet nach einigen etablierenden Totalen vor allem mit expressiven Bildausschnitten, die in der Fassung der Bayerischen Akademie der Schönen Künste mit Chorälen und atonalen Sounds hinterlegt werden, für die die ukrainische Komponistin Masha Khotimski verantwortlich zeichnet. So entsteht bisweilen gar eine beängstigende Stimmung, während die Bewohnerinnen und Bewohner Uschgulis ihre berühmten Türme nutzen, kämpfen, und vor allem mit der Natur ringen. Gezeigt wird das harte und entbehrungsreiche Leben in der eisigen und entlegenen Höhe Swanetiens, welches aber mit viel Interesse und Wohlwollen begleitet wird. Dabei kommt es auch immer wieder zu diversen expliziten Szenen, in denen Tiere aufgrund des Salzmangels Urin trinken, Frauen ob des Verlusts ihres Nachwuchses den Boden mit ihrer Milch tränken oder – sicherlich aus heutiger Sicht höchst fragwürdig – ein Bulle von Menschenhand den Tod findet. Die Zwischentitel erwecken überwiegend Verständnis für das Gezeigte, Kalatozov war augenscheinlich beeindruckt vom Leben der Menschen Swanetiens.

Seinen eigentlichen Auftrag, einen Spielfilm zu produzieren, konnte er dann aber aufgrund dieser Faszination nicht zu Ende führen, denn in Moskau sah man eine derart positive Darstellung dieser rückständigen Region nicht allzu gern. Stalin, selbst Georgier, war seit jeher daran gelegen, das georgische Volk als ein uraltes, vor allem aber sehr edles und wissendes darzustellen, sodass Kalatozovs Projekt zum Dokumentarfilm umgewidmet wurde und ein prosowjetisches Ende oktroyiert bekam. So wird der Mangel an Salz schließlich durch den Straßenbau des ersten Fünfjahresplans beendet, den der Film in den letzten Minuten in Form von hunderten schwitzenden, hakenden und Bäume fällenden Arbeitern darstellt. Bemerkenswert ist, dass der sowjetische Fortschritt aber wie ein Eindringling in die intakte Welt wirkt. Es ist nicht Gutes daran, Angst und Bedrohung machen sich breit. Die Zwischentafeln verkünden dann auch, dass im dritten Jahr des Fünfjahresplans erst 50 von 170 Kilometern Straße fertiggestellt sind – wahrer Jubel sieht anders aus. Da ist die Feststellung, dass „die Religion Swanetien auffrisst“ schon eher auf Parteilinie. So oder so bleibt DAS SALZ SWANETIENS eine frühe Perle des ethnographischen Dokumentarfilms und ein bemerkenswerter Kommentar zur sowjetischen Industrialisierung – und das alles gefasst in mitreißende Bilder!

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