
Die Schlinge
Rope | USA | 1948
IMDb, OFDb, Schnittberichte
Im Hitchcock-Standardwerk von Francois Truffaut bezeichnet Hitchcock DIE SCHLINGE (1948) als „idiotischen“ Versuch, von seinen Grundsätzen der Montage Abstand zu nehmen. Zugegeben, er hat sich danach – sinnvoller- wie glückerweise – wieder auf die bewährten Techniken zurückbesonnen, aber doch bleibt DIE SCHLINGE in meinen Augen ein deutlich besserer Film, als es des Meisters harsches Eigenurteil vermeinen lässt.
Zum einen ist die technische Umsetzung schlicht genial. Unabhängig davon, ob man es als spannungssteigernd oder als abwechslungsarm empfindet, dass die Zeitspanne der Handlung und die Spielzeit des Films hier deckungsgleich sind und folglich nur einige technisch bedingte Schnitte existieren, sorgt das für einige großartige Szenen. Wenn die Haushälterin Mrs. Wilson (Edith Evanson) die Truhe, in der sich Davids Leiche befindet, in mehreren Zügen abräumt und dazwischen jedes Mal in die Küche läuft, die Kamera sich dabei nicht bewegt und im Off über Davids Verbleib spekuliert wird, dann ist das schlicht nervenzerreißend. Aber auch, wenn Cadell (James Stewart) seine Hypothese des Mords vorbringt, die Kamera dabei den Beschreibungen durch das Set folgt und so die Vorstellungskraft der Zuschauenden befeuert, zeigt sich, welch vielseitige Nutzung die Kulissen erfahren. Dazu kommen zahllose Perspektiven, ein grandioser New-York-Hintergrund (der sich ständig ändert) und eine großartig flexible Kamera. Ja, es fehlt natürlich das, was Schnitte und Montagen ermöglichen, und ja, nicht jeder Film sollte so gedreht werden wie dieser, aber nichtsdestotrotz zeigt Hitchcock auch in dieser limitierten Konstellation, was er an Finesse und Winkelzügen aufbieten kann.
Des Weiteren birgt die grundsätzlich überschaubare Storyline einige Metaphern, die zahlreiche Rezipienten übersehen respektive die in Anbetracht der technischen Ausnahmestellung des Films in Hitchcocks Werk häufig allzu sehr am Rand stehen. Das vom britischen Schriftsteller Patrick Hamilton 1929 verfasste Theaterstück Rope wurde für Hitchcocks Adaption zwar nur in Details verändert, erhält aber durch das Zeitgeschehen eine neue Dimension. Durch die Grausamkeiten des nationalsozialistischen Deutschland im Zweiten Weltkrieg nimmt die die Haltung von Brandon (John Dall) und Phillip (Farley Granger) ungleich realer aus, als in der Bühnenfassung. Plötzlich hat die Idee der Überlegenheit einiger Menschen gegenüber anderen eine greifbare Bedeutung („Gut und Böse gelten nicht für intellektuell Überlegene.“ bzw. „Supermenschen sollten töten dürfen.“), die 1929 so nicht bestand. Brandon bedient sich stellenweise der nationalsozialistischen Weltsicht und führt dafür die Theorien seines Mentors Cadell an. Der wiederum pflichtet seinem Schützling in Gegenwart der übrigen Gäste zunächst bei und bezichtigt ihn erst, seine Theorien zu missbrauchen, als er bemerkt, dass sie Brandon zum Mörder gemacht haben. Ein bemerkenswerter Kommentar zum Verhältnis von Wissenschaft und Nationalsozialismus – und Cadells finales Plädoyer nimmt die Verkündung der allgemeinen Menschenrechte um rund fünf Monate vorweg. Zahlreiche Gründe, DIE SCHLINGE für einen deutlich besseren Film zu halten als es Hitchcocks einige Bewertung nahelegt!
Pingback: ALFRED HITCHCOCK | SPLATTERTRASH·