SERPICO

Serpico
Serpico | Italien/USA | 1973
IMDb, OFDb, Schnittberichte

1971 klärte uns William Friedkin mittels BRENNPUNKT BROOKLYN darüber auf, dass sich keineswegs nur ehrenhafte Gesetzeshüter der Kriminalitätswelle im Big Apple der 1970’er Jahre entgegenstellten. Zwei Jahre später sollte Sidney Lumet dieses Sujet noch weiter ausformulieren und aus der Ungehaltenheit ob der dreisten Kriminalität einen korrupten Sumpf auf Seiten der Polizei machen. Nach einer wahren Begebenheit schrieben Waldo Salt und Norman Wexler (dessen sonstiges Drehbuchschaffen durchaus einen Blick wert ist, offenbar es doch trotz seiner Überschaubarkeit eine erstaunliche Bandbreite und Qualität) das Drehbuch zum einem Werk des New Hollywood, das auch heute noch einen Schlag in die Magengrube darstellt, da es ob weiteres auf aktuelle Probleme übertragbar ist.

Im Zentrum steht der von Al Pacino gegebene frischgebackene Officer Frank Serpico, der bei der New Yorker Polizei anfängt und gleich beim ersten Mittagessen mit Kollegen mit dem Umstand konfrontiert wird, dass der Koch des kleinen Restaurants die Herren Gesetzeshüter umsonst verköstigt, da er Dreck am Stecken habe; aussuchen könne Frank sein Gericht aber nicht, er solle essen, was er bekomme. Danach ist sein Partner nur bedingt bereit, einer Vergewaltigung nachzugehen, zwei andere verkaufen Serpicos späteren Fahndungserfolg aber nur allzu gern als den ihren. Bereits hier setzt uns der Film alle paar Minuten einen anderen korrupten Kollegen Franks vor die Nase und befördert so den Eindruck, dass die korrupten Cops alle austauschbar sind; das wird sich bis zum Filmende (mit nur wenigen Ausnahmen) so fortsetzen. Die vielen Arbeitsplatzwechsel, die nötig sind, um die Hauptfigur mit all diesen unlauteren Kollegen in Verbindung zu bringen, werden im Übrigen mittels Zeitsprüngen ermöglicht – verdeutlicht durch Franks wachsenden Hund und seine zunehmende Bart- und Haarpracht. Letztere fungiert zusammen mit seinem Hang zu Verkleidungen sowohl als Grundlage seiner erfolgreichen Polizeiarbeit als auch als krasser optischer Gegensatz zu seinen kurzgeschorenen Kollegen in Uniform. Er ist der verlachte Hippie, der aber als einziger Aufrichtige Arbeit leistet.

Folglich setzt eine Transformation Franks ein, die ihn vom aufrechter Staatsdiener zum Zweifler werden lässt. Am Ende ist er ein verängstigtes Häuflein Elend, dessen soziale Kontakte zerfallen und das keinem Menschen mehr trauen kann. Vorbei ist es mit dem Studium, den Partys und der Geselligkeit; die Korruption in den Revieren beherrscht seine Welt. Diese Wandlung entsteht nicht nur durch den ständigen Umgang mit Korruption, sondern durch die Zunähme ihrer Intensität. Sind es anfangs noch scheinbar zufällige Scheinchen, die in die Taschen der Cops wandern, entspinnt sich mit zunehmender Spielzeit ein riesiges Netz, das auch höchste Ämter systematisch einzubinden scheint. Ab einem gewissen Zeitpunkt verhalten sich Franks Kollegen wie Kriminelle, überfallen ihre Opfer mit brutaler Gewalt und bedrohen sein Leben offen. Frank betritt seinen neuen Arbeitsplatz, ein Polizeirevier, schließlich mit gezogener Waffe.

Sidney Lumet verpackt das alles in stimmige Bilder New Yorks, legt das Augenmerk aber klar auf die Polizeistationen; keine noch so schmuddelige Gasse oder Bar wirkt ähnlich verkommen oder gefährlich wie diese Orte. Abgesehen von wenigen Szenen ist die Bildstimmung kalt und düster, Low-key-Fotografie schlägt den Bogen zum geistigen Vorvater Film Noir. Musik fehlt fast ganz, Straßengeräusche sorgen für einen manchmal fast dokumentarischen Stil. Der macht es dann umso beklemmender, dass sich – wie eingangs erwähnt – der Bogenschlag ins Heute geradezu aufzwingt. Es fällt wahrlich nicht schwer, sich vorzustellen, dass heute namenlose Kollegen Franks in deutschen Polizeistuben daran verzweifeln, die rechtsradikalen Chatgruppen, rassistischen Überprüfungen oder nicht verfolgten Anzeigen wegen Körperverletzung im Amt öffentlich zu machen – und dass sie dabei an den gleichen kalten Gesichtern und hohen Tieren scheitern, wie Serpico. Sidney Lumets Film beklagt nichts weniger als das systemimmanente Dilemma der Polizei, dass sie sich selber kontrollieren soll. Das hat damals nicht geklappt und SERPCIO ruft einem bei jeder Sichtung wieder in den Sinn, dass es auch heute nicht klappen kann.

3 Antworten zu “SERPICO

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