Wer klopft denn da an meine Tür?
Who’s That Knocking at My Door? | USA | 1967
IMDb, OFDb, Schnittberichte
1. Man merkt Martin Scorseses Debüt die jahrelange Produktionszeit deutlich an. Über drei bis vier Jahre aus einer Studiums-Abschlussarbeit entstanden, verbindet der Film unterschiedliche Inhalt und Formate teils recht ruppig miteinander. Die Partysequenzen sind die ältesten, die Liebegeschichte mit der von Zina Bethune gegebenen Blondine entstanden deutlich danach und die amourösen Abenteuer von J.R. (Harvey Keitel als Spielfilmdebütant) wurden gar nachträglich in Amsterdam gedreht, um den Film letztendlich in den Verleih bringen zu können. Der Storyline tut eine solche Entstehungsgeschichte natürlich nur sehr bedingt gut, die einzelnen Fragmente fügen sich bisweilen äußerst grob ineinander. Umso erstaunlicher ist es da, dass Scorsese und seine Cutterin Thelma Schoonmaker, die diesen Job bis heute für ihn verrichtet, den Film trotzdem nicht darunter leiden lassen. Der simple Kniff, vieles in der Erinnerung von J.R. spielen zu lassen, gewährt entsprechende Freiräume.
2. Scorsese ist mutig. Schon die erste Unterhaltung von J.R. und seiner zukünftigen Freundin besticht durch inszenatorische Extravaganz. Statt Schuss und Gegenschuss zu nutzen, lässt er die Kamera langsam um die Gesprächspartner schwenken, filmt beide von hinten oder platziert das Objektiv über ihren Köpfen. Fünf Minuten lang begleitet er so einen Dialog über Filmklassiker und ihre Protagonisten. Die Amsterdam-Szene mutet (auch wegen der Musik von The Doors) in ihrer Ziellosigkeit geradezu psychedelisch an, immer wieder nutzt Scorsese Zeitlupen oder lässt einzelne Einstellungen wiederholt ablaufen. Mal hat man den Eindruck, dass hier ein experimentierfreudiger Student werkelt, mal ist man fest davon überzeugt, dass er schon zu diesem Zeitpunkt klare Vorstellungen davon hatte, wie seine Filme aussehen sollen. Spannend.
3. Scorsese verarbeitet seine eigene Zerrissenheit zwischen der Kirche (seinem ersten Berufswunsch) und dem Filmwesen in der Figur J.R. Der lebt ebenfalls zwischen einer Partywelt, in die seine Kumpels ihn führen und in der „Miezen“ von höchster Bedeutung sind, und der katholischen Welt seiner Familie. So weist er seine neue Freundin in einer sehr intimen Szene zurück, da die Marienstatuen der Mutter sie beobachten. Sein konservatives Weltbild macht ihn unfähig, mit der Vergewaltigung seiner Freundin mitfühlend umzugehen, vielmehr beleidigt er sie; ein Ausdruck größter Unfähigkeit, die eigenen Empfindungen, die eigene Zerrissenheit auszudrücken. In diesen Szenen ist Scorsese am engsten an seiner Hauptfigur dran – und vielleicht auch an sich selbst.
4. Der Film weist bereits eine von Scorseses größten filmischen Fähigkeiten auf: das (mitunter an der Gesellschaft vorbeilaufende) Leben von Menschen (in New York) zu beobachten. Die Autofahrten, die Bergbesteigung, die Schlägereien auf der Straße, der Sex mit den Unbekannten; all diese Szenen fügen sich zu einem Bild, dass das Leben eines jungen Italianamerican (nicht zufällig auch der Name einer 1974 veröffentlichten Dokumentation von Scorsese) darstellt. Und dann passt auch die eingangs erwähnte grobe Zusammensetzung des Films plötzlich wunderbar ins Bild.
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