Parasite
Gisaengchung | Südkorea | 2019
IMDb, OFDb, Schnittberichte
Zunächst: Ja, der Titel „Parasiten“ bezieht sich hier tatsächlich auf Menschen und ihr Verhalten. Und auch wenn der Duden uns daran erinnert, dass die antike Komödie unter diesem Terminus die „Figur des gefräßigen, komisch-sympathischen Schmarotzers, der sich durch kleine Dienste in reiche Häuser einschmeichelt“ kennt, so bleibt doch die erstgenannte Definition die eines „Lebewesen[s], das aus dem Zusammenleben mit anderen Lebewesen einseitig Nutzen zieht, die es oft auch schädigt und bei denen es Krankheiten hervorrufen kann“. Letztere Verwendung ist uns aus zahlreichen abgründigen Zusammenhängen menschlicher Gesellschaften bekannt. Für den aktuellen Film des südkoreanischen Regisseurs und Drehbuchautoren Bong Joon-ho trifft keine der Definitionen vollends zu, er bedient sich jedoch an beiden.
PARASITE wirft einen Blick auf die aktuelle Situation der Gesellschaft im durch (teils diktatorisch geleiteten) Turbo-Kapitalismus zu Reichtum gekommenen Südkorea. Da wäre zum einen die Familie Kim, die in einer Kellerwohnung das Wifi der Nachbarn klaut, Pizzakartons faltet und auf der Straße versprühtes Gift gerne in die Wohnung lässt, um Krabbeltiere auszuschalten. Am anderen Ende der sozioökonomischen Leiter residiert Familie Park, die in einer riesigen Villa eines Star-Architekten wohnt und dort Luxus und Enthobenheit zelebriert. Doch dann gerät Kim-Sohnemann Ki-woo (Choi Woo-sik) zufällig an den Job des Englisch-Nachhilfelehrers im Hause Park, in das er nach und nach seine ganze Familie einschleust – seine Schwester als Kunsttherapeutin, seinen Vater als Fahrer, seine Mutter als Haushälterin.
Bong inszeniert das 50 Minuten lang mit einer großen Leichtigkeit. Nicht nur, dass der Film einen schon in den ersten Minuten in die problembehaftete Welt der Familie Kim hineinsaugt, er macht es einem auch genauso einfach, ihnen in die reiche Welt der Parks hinein zu folgen. Das liegt vor allem daran, dass die vier so sympathisch echt sind. Man freut sich mit Sohn Ki-woo über das Jobangebot, man versteht die entnervte Meckerei der starken Mama Chung-sook und kann den stolzen Blick von Vater Ki-taek verstehen, wenn er die Fälscherin-Qualitäten seiner Tochter Ki-jung lobt. Durch derart viel Sympathie (grandiose Leistung der Schauspielenden!) gepackt, nimmt man ihnen das böse Spiel auch nicht so übel, das sie mit Mutter Park (Cho Yeo-jeong in wundervoll naiver Darbietung) spielen. Es wirkt eher wie eine kleine Heist-Movie-Parodie, die aufgrund ihrer vierfachen Ausführung zwar gen Ende beinahe zu langweilen droht, die in ihren besten Momenten aber sicherlich maßgeblich mit dafür gesorgt hat, dass der Film zu Beginn vom Gewinn der Goldenen Palme 2019 künden darf.
Und dieses Aufeinandertreffen von Arm und Reich sieht auch noch grandios aus. Die Kellerwohnung und die engen Gassen Seouls stehen einem sonnendurchfluteten Anwesen gegenüber, das immer wieder in sehr auf einen Fluchtpunkt bedachten Aufnahmen eingefangen wird. Es ist eine Augenweide, den grünen Garten vom warmen Holz der Wohnzimmer eingerahmt zu sehen, die ständigen Wechsel von Licht und Schatten zu genießen. Darin bewegen sich eine adrett gekleidete Familie Kim, die erst daheim wieder in raue Sprache und derbe Späße verfällt. Bong spielt mit diesen Gegensätzen, er macht immer wieder klar, dass die Kims eine Rolle spielen, dass sie von Familie Park profitieren. Die Frage bleibt aber, ob sie das auf schmarotzende Art und Weise tun.
Und ich denke, das tun sie nicht. Sie haben sich ihre Jobs erschummelt, ja, aber sie tun ihre Arbeit und erhalten dafür Lohn. Sie leben nicht auf Kosten der Parks, sie bestehlen sie nicht und schaden ihnen nicht. Die Szene, in der sich die Kims dann doch am Alkohol der Parks bedienen, nutzt Bong sogleich dafür, Vater Ki-taek von der Freundlichkeit und Anständigkeit der Parks künden zu lassen. Ki-jung tritt dabei zwar egoistisch auf und vertritt ohnehin die respektloseste Rolle gegenüber den Parks, aber auch sie arbeitet für ihr Geld. Es ist wohl einer der genialsten Kniffe Bongs, uns nicht zu verraten, was die Kims mit all den Urkunden und Daten der Parks angefangen hätten, die Mutter Chung-sook in Erfahrung gebracht hat – stattdessen lässt er Parasiten auf Parasiten treffen.
Denn die zunehmend brutale Eskalation, die am Ende in einigen sehr expliziten Gewalttaten mündet, wird durch die Erkenntnis ausgelöst, dass es bereits andere Parasiten in dem Haus gibt. Schnell ist klar, dass sich die beiden „Betrüger“-Parteien gegenseitig an Messer liefern wollen, um weiter von den Parks zu profitieren. Das endet in Mord und Totschlag. Finanzieller Wohlstand ist im heutigen Südkorea demnach so schwer zu erringen, dass er, ist man ihm erst einmal nahe, auch von friedfertigen Menschen mit blanker Gewalt verteidigt wird. Es erschreckt, welche Sadismen und welche Lebensfeindlichkeit da plötzlich Anwendung finden. Bong macht das auch mittels einiger Horror-Sequenzen deutlich, die er erstaunlich geschickt in den Film einwebt. Mehrfach gelingt es ihm so, innerhalb weniger Minuten eine finstere Atmosphäre aufzubauen, die sich vor aktuellen Horror-Produktionen nicht zu verstecken braucht. Dem gegenüber sollen aber auch die zahlreichen kleinen Zwischentöne (positiv wie negativ), die den Film so lebendig machen, nicht unerwähnt bleiben: die Turtelei von Ki-woo und Da-hye, Ki-taeks Erschütterung über den ihm anhaftenden Geruch oder Yeon-kyos Fixierung auf alles Amerikanische, dem die nordkoreanischen Späße der Haushälterin entgegenstehen.
Das Ende ist selbstredend düster, das unlautere, aber verständliche Streben nach finanziellem Auskommen sorgt für Tod und Spaltung in der Familie Kim. Beisammensein bleibt ein Wunschtraum, am Ende ist Ki-woo nicht nur arm, sondern auch einsam. Schon erstaunlich, dass Bong eine derart nihilistische Aussage in einen Film verpackt, der einen Großteil der Kinobesucher so häufig kichern lässt. Entweder sie verstehen es nicht, oder sie wollen es nicht verstehen.
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