Verlierer
Verlierer | Deutschland | 1986
IMDb, OFDb, Schnittberichte
Ja, hin und wieder passiert es. Hin und wieder trifft man auf Filme, die einen komplett wegbügeln, die nicht einfach toll sind oder aufgrund ihrer Machart beeindrucken, sondern einen fesseln. Und ein solcher Streifen hat dann die famose Fähigkeit, seine Unzulänglichkeiten quasi unsichtbar werden zu lassen – sie fallen schlicht nicht ins Gewicht. Der Auslöser, warum eine solche Wirkung erreicht wird, kann dabei durchaus unterschiedlich sein. Im Falle von Bernd Schadewalds 1986 für das ZDF produzierten und bei Münchner Filmfest uraufgeführten VERLIERER ist es sicherlich zum einen meine Sympathie für Gangfilme und zum anderen das zeitliche und kulturelle Kolorit des Ruhrgebiets der 80er Jahre, das den Streifen vollständig durchströmt.
Die Handlung: Der junge Mücke (Mario Irrek) hat ständig Stress mit seinem Vater und verlässt eines Tages nach weiteren Handgreiflichkeiten das Elternhaus. Sein Bruder Ritchie (Ralf Richter) möchte Mücke jedoch nicht in seiner Gang, den „Sharks“ haben, da diese in einem harten Kampf mit den rivalisierenden „Rats“ lieg. Da kommt es dann denkbar ungelegen, dass sich Mücke mit Erdal (Yüksel Bicici) anfreundet, ohne zu wissen, dass sein neuer Kumpel ebenfalls bei den „Rats“ ist. Bei der folgenden Auseinandersetzung stehen die neue Freunde also auf verschiedenen Seiten.
Ja, das ist überschaubar. Ja, das ist nichts Neues. Schadwald erzählt die Story recht zügig, aber da diese in ihrem Umfang recht übersichtlich ist, bleibt ihm genügend Zeit, um die Umgebung mit in Szene zu setzen. So werden stets auch heruntergekommene Straßenzüge, die Industrie-Skyline oder die allgemeine Tristesse eingefangen. Während Innenstädte und Wohnstraßen dabei zwar grau und düster wirken, aber immerhin noch belebt sind, wecken die Aufnahmen der Industriebrachen wahrlich apokalyptische Assoziationen. Das durch den Strukturwandel stark erschütterte Ruhrgebiet, das Mitte der 80er Jahre noch nicht zu neuen Konzepten gefunden hatte, erinnert hier teilweise an die Bronx der 70er und frühen 80er Jahren. Alleinstehende, verlassene, teils ausgebrannt Backsteinhäuser, Straßen sind kaum zu erkennen, urbane Strukturen sind nur in ihren Grundzügen erahnbar. Dazwischen mäandern die Banden mit ihren Joppen umher, der Himmel voll Qualm, der Sonne verdeckt. Sowohl ihre Einsamkeit in Weitwinkelaufnahmen als auch die leeren Blicke in Nahaufnahmen wecken mehrfach Erinnerungen an Walter Hills ewigen Klassiker DIE WARRIORS (1979).
Und das mit den Blicken kann einer besonders gut: Ralf Richter. Sein Ritchie ist ein desillusionierter Anführer, der der Blick meist in eine unbekannte Ferne richtet. Die Rolle ist nicht sonderlich tief gezeichnet, er peitscht die Seinen eigentlich nur von einer Klopperei zum nächsten Diebstahl, aber als Gang-Vorsteher muss man ja auch keine Bewerbung mit feinziselierter Motivationslage verlassen. Er ist rau, hart und er ist der Chef, das reicht. Mario Irrek gibt dann als Richties kleiner Bruder Mücke den nahbaren Teil des Casts, seine Flucht von Zuhause, seine aufkeimende Beziehung mit Erdal und seine Unfähigkeit, sich von Ritchie zu lösen, sind die inhaltlichen Triebfedern des Films. Aram Basyurt gibt Ritchies Gegenpart Hasan und Campino gibt sich selbst. Angenehm: der Migrationshintergrund eines großen Teils der „Rats“ wird von Schadewald kaum thematisiert. Er bildet die Realität ab, reduziert die Gang aber nicht auf dieses eine Merkmal.
Neben den grandiosen Aufnahmen des Ruhrpotts (die bei Ortskundigen immer und immer wieder für Wiedererkennen sorgen) gibt es dann auch noch fesche Sounds. Punk, Thrashmetal und einiges anderes Schwungvolles unterlegen die Bilder trefflich. Manch ruhigere Passage kommt dagegen mit sphärischen Klängen aus, die den ohnehin weit entfernt scheinenden Eindruck der Region gut aufgreifen.
Es scheint diesem Text nun nur bedingt zu gelingen, die überaus lobenden Worte der Einleitung zu erklären. Und ich kann es auch nicht besser. Ich denke, dass liegt eben daran, dass solche Filme einen nicht nur auf der formalen oder inhaltlichen Ebene abholen, sondern irgendwo dazwischen. Oder daneben. Oder wo auch immer. VERLIERER ist so ein Film, der mit seinem Kolorit und seinem Sujet einfach einschlägt. Bei mir.
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