Die üblichen Verdächtigen
The Usual Suspects | Deutschland/USA | 1995
IMDb, OFDb, Schnittberichte
Selten war wohl ein Academy Award für das Beste Drehbuch so verdient, wie jener, den Christopher McQuarrie 1996 für Bryan Singers DIE ÜBLICHEN VERDÄCHTIGEN erhielt. Und das nicht etwa, wegen des bis heute allenthalben gefeierten Twists am Ende, der den von Kevin Spacey in seiner ersten großen Rolle gegebenen Verbal Kint als kriminelles Genie entlarvt, sondern wegen der simplen, aber genialen Ideen McQuarries, die Bereitschaft der Zuschauenden, alles, was sie sehen, als wahr anzunehmen, auszunutzen. Dazu skizziert er eine Rahmenhandlung, die auch von Polizist David Kujan in ihren Grundzügen bestätigt wird: Eine Bande von Berufsverbrechern wird im Zuge von Ermittlungen zusammengewürfelt und beschließt, gemeinsam Missetaten zu begehen, die darin münden, dass es nach einer Schiffsexplosion, die irgendwie mit den kriminellen Machenschaften des ominösen Keyser Söze zusammenhängt, 27 Tote gibt. Da Regisseur Singer einige dieser Geschehnisse zeigt und mehrere Charaktere sie erwähnen, gibt es also für die Rezipienten – entsprechend ihrer filmischen Gewohnheit – keinen Grund, die Wahrhaftigkeit anzuzweifeln.
Bei diesem Film allerdings schon. Am Ende wird offenbar, dass der Großteil des Gesehenen wohl der Fantasie Verbal Kints entsprungen ist – der eventuell auch Keyser Söze ist. Es wird aber nicht klargestellt, was nun wirklich passiert ist, was Verbal verfälscht wiedergegeben und was er gänzlich selbst ersonnen hat. Der Film lässt auch keine Rückschlüsse darauf zu. Sicher ist nur, dass irgendetwas nicht stimmt. Und während es in vielen Filmen offene Stellen gibt (die ja oft er dafür sorgen, dass ein Film fasziniert), ist es hier auch das Gezeigte, was in Zweifel gezogen werden muss. Es sind nicht nur die Leerstellen, die unsicher scheinen, es ist nahezu alles. Diese Leistung des Films, der sich somit auch als Metakommentar auf Erzählperspektiven lesen lässt, ist es, die ihn bedeutsam macht – nicht der bekannte Twist am Ende.
Ansonsten inszeniert Singer hier einen launigen Gangsterstreifen, der in seinen einzelnen Elementen jedoch nicht herausragt. Die Bande ist ohne Frage cool: Gabriel Byrne ist als (vermeintlich) geläuterter Profigangster Dean Keaton eine Bank, Stephen Baldwin gibt als McManus den unberechenbaren Teil der Truppe. Benicio del Toro nuschelt sich als Charmebolzen einen zurecht, einzig Kevin Pollaks Hockney wirkt blass. Das Zusammenspiel funktioniert, nur die einzelnen Coups wirken irgendwie so, als hätte McQuarrie sie von Anfang an seinem Gesamtkonzept untergeordnet. Es entsteht eine seltsame Ambivalenz zwischen dem Status der Profigangster, ihrem Zusammentreffen mit dem übermächtigen Keyser Söze und den irritierend belanglosen Überfällen – aber vielleicht ist ja auch das Absicht McQuarries, um Kints Geschichte irgendwie unrund wirken zu lassen.
Der Rest ist typisch 90er-Thriller – alles sieht irgendwie wie ein TV-Film aus und die Klamotten sind schrecklich. Aber geschenkt, denn abschließen möchte ich mit einer anderen (hoffentlich ähnlich gewichtigen) Erkenntnis: Vor dieser erneuten Sichtung dachte ich noch, dass der Streifen durch die Kenntnis des finalen Twists maßgeblich an Sehvergnügen einbüßt, aber das ist grundlegend falsch. Wie erwähnt entsteht die Faszination durch die geniale Auseinandersetzung mit Erzählperspektiven und der eigenen Bereitschaft, alles in einem Film Dargestellte innerhalb seines Universums für bare Münze zu nehmen. Und seine eigene Naivität kann man eben auch mehrfach erkennen.
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