Der Mann, der zuviel wusste
The Man Who Knew Too Much | Großbritannien | 1934
IMDb, OFDb, Schnittberichte
1934 traf Alfred Hitchcock endlich auf jenes Genre, welches seine Karriere fortan maßgeblich prägen sollte: den Agentenfilm. Und bereits bei dieser Erstbegegnung führte er allerlei Versatzstücke ein, die seine späteren Werke auszeichnen sollten: Familien in unverschuldeter Not, Geheimagenten, sinistere Schurken und eine Dramaturgie von außerordentlicher Spannung. Dabei wirkt DER MANN, DER ZUVIEL WUSSTE (den Hitch bekanntlich 22 Jahre später erneut – und noch erfolgreicher – verfilmte) stellenweise gar etwas unrhythmisch; es scheint schlicht und einfach die Ideenfülle zu sein, die es Hitchcock hier schwierig machte, stringente 75 Minuten zu erschaffen.
Doch die einzelnen Segmente des Films sind allesamt grandios. Schon die Eröffnung, bei der Edna Best als selbstbewusste Karabinerschützin Jill Lawrence ihren Mann zurecht- und zurückweist, nur um dann mit dem charmanten Lious (Pierre Fresnay) abzudampfen, ist ebenso mutig wie lustig. Dass sie obendrein (wenn auch im Scherze) ihre Tochter als Last tituliert und somit allen mütterlichen Gepflogenheiten zuwiderhandelt, unterstreicht die starke Persönlichkeit Jills, die ja schließlich auch das Finale entscheiden wird, gekonnt. Danach konstituiert Hitchcock innerhalb weniger Minuten die Rahmenhandlung, welche von mehreren Seiten Druck auf die kleine Familie aufbaut. Da nicht viel Zeit bleibt stürzt sich Gatte Bob (Leslie Banks) – dann doch wieder kurzfristig handelndes Element – selber in die Ermittlungen.
Es folgt die wohl komödiantischste Szene des Films, bei der Bob und Clive dem Verbrecher Abbott – der von Peter Lorre in seiner ersten englischsprachigen Rolle begnadet emotional gegeben wird – in eine Kirche folgen, wo gerade eine mysteriöse Messe stattfindet. Zunächst teilen sich die beiden dann Kirchenlieder singend Botschaften mit; doch als Clive kurz darauf hypnotisiert wird, bricht eine Schlägerei unter Einbeziehung des Kirchenmobiliars aus, welche die Sektenführerin mittels Orgelspiels zu übertönen versucht. Derlei skurrile Momente webt Hitchcock ganz beiläufig in den Ablauf des ansonsten auf Spannung getrimmten Films ein.
Den Höhepunkt dieser Spannung erreicht der Film dann in der Royal Albert Hall, wo der Diplomatenmord – jener MacGuffin, der die Triebfeder dieses Films darstellt – geschehen soll. Es ist den Betrachtenden schon vorher klar, zu welchem Zeitpunkt der Schuss fallen soll und so kann sich Hitchcock genüsslich Zeit damit lassen. Dieser quälend-lange Spannungsaufbau ist wohl jenes Element des Films, welches zukünftige Arbeitsweisen Hitchcocks am deutlichsten vorwegnimmt. Minutenlang schwillt die Musik weiter an, minutenlang wird Jills Blick panischer und letztlich kommt doch alles anders als gedacht. Im Gegensatz dazu wirkt die recht lange und etwas uninspirierte Schießerei im Finale gar etwas flach. Aber wer sich daran – oder an der erwähnten Ruppigkeit, mit der diese tollen Sequenzen zusammengesetzt wurden – stört, der kann ja immer noch Trost beim Remake, DER MANN, DER ZUVIEL WUSSTE (1956), suchen.
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