Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn
Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn | Deutschland | 1967
IMDb, OFDb, Schnittberichte
Der Journalist Danny Sonntag (Erik Schumann) ist da einer heißen Sache auf der Spur: In Hamburgs Rotlichtmilieu treibt eine Bande von Drogendealern ihr Unwesen, die den Stoff auch jungen Mädchen verabreicht und mit diesen dann unlautere Partys feiert. Als Till Voss (Fritz Wepper) aus eben dieser Bande aussteigen will, da die hübsche Lotti (Marianne Hoffmann) ihn bekehrt hat, gerät jedoch alles aus den Fugen. Jetzt ist auch Kommissar Zinner (Konrad Georg) gefragt, der sich des Falles mit harter Hand annimmt.
Der Österreicher Rolf Olsen hat sich nach der massenhaften Produktion von Krimis und Klamotten in den 50er und 60er Jahren ab 1966 einer neuen Spielart des deutschen Kinos zugewandt: dem Großstadtfilm. Kriminalität, Drogen, Sex, das waren die Thema die gen Ende der 60er Jahre für hohe Zuschauerzahlen sorgten. IN FRANKFURT SIND DIE NÄCHSTE HEIß (1966) bewies dann eindrucksvoll, dass Olsen auch dieser Filmart gewachsen war. Ernst Hofbauer legt im Sommer 1967 mit HEIßES PFLASTER KÖLN nach, bevor Olsen wiederum noch weiter nach Norden zog, umim Herbst desselben Jahres die Hansestadt Hamburg zum Schauplatz seines nächsten Streichs zu machen. Als Geldgeber des Projekts ersetzte die Constantin Film zusammen mit der Allianz Film die kleine österreichische Intercontinental Filmproduktion und da Olsen seine Drehbücher zu jener Zeit ohnehin selbst zu schreiben pflegte, konnte es auch zügig losgehen.
Und schon in den ersten Minuten stellt der Film klar, dass er keine Gefangenen zu machen gedenkt. Ein augenscheinlich unter Drogen stehendes Mädchen taumelt durch finstere Gassen, bevor es von einem unachtsamen Autofahrer überrollt wird, der dann auch noch ohne erste Hilfe zu leisten Fahrerflucht begeht. Au backe! In dieser Welt geben sich also Niedertracht und moralische Verkommenheit die Hand. Dementsprechend geht es auch weiter und Olsen kredenzt eine gesellschaftliche Untiefe nach der anderen. Eine rücksichtslose Bande von Twens, die – aus gutem Hause stammend – Befriedigung in Drogenrausch und Missbrauch findet. Gutgläubige Mädels, die an alte Schwerenöter verschachert werden, die wiederum hässlich greinend über die jungen Dinger herfallen. Das alles findet zwischen den hässlichsten Gassen St. Paulis und den hübschen Vorortvillen der Besserverdienenden statt und läuft deshalb nie Gefahr, allzu einseitig oder milieuverhaftet zu wirken.
Danny: Wir mögen die Welt kennenlernen wie wir wollen, sie wird immer eine Tag- und eine Nachtseite behalten.
Auf Seiten der Guten führt dabei Erik Schumann als höchst investigativer Vollblut-Journalist Danny Sonntag durch das Programm. Der TV-Tausendsassa Schumann fungiert dabei auch hin und wieder als Erzähler, der dem Ganzen einen Touch von Pulp-Geschichte verleiht. Mit Konrad Georg als Kommissar Zinner gibt es einen weiteren bekannten TV-Darsteller zu sehen, dessen Darbietung hier eine auffällige Ähnlichkeit zu seinen Auftritten als KOMMISSAR FREYTAG aufweist. Als dritter Protagonist entpuppt sich schließlich Heinz Reinckes Figur Uwe Wagenknecht, die hier vornehmlich der humoristischen Erbauung dient.
Jürgen Draeger darf als Feuer-Hotte der Niedertracht seinen Körper anbieten und hier völlig ungeniert vom Leder ziehen, gerät dabei allerdings mit Fritz Wepper als Till Voss in Konflikt. Die spätere DERRICK-Ikone Wepper macht dabei eine tolle Figur als geläuterter Gangster, der in Marianne Hoffmann als Lotti einen neuen Lebenssinn gefunden hat. Daneben gibt es mit Tanja Gruber, die in 00-SEX AM WOLFGANGSEE (1966) gemeinsam mit Olsen vor der Kamera stand, ein echtes österreicher Schmuddelfilm-Sternchen zu sehen.
Danny: Was werden Sie tun?
Zinner: Mich nicht mehr abhalten lassen, ins goldene Wespennest zu stechen!
Und zusammen mit Kameramann Franz Xaver Lederle lässt sich Olsen dann auch so einiges einfallen, um die verkommene Welt, in der sich all die Genannten bewegen, hübsch in Szene zu setzen. Allem voran ist da sicherlich die Drogenparty zu nennen, bei der unter anderen zahlreiche Blenden- und Farbeffekte zum Einsatz kommen, die dann ein durchaus psychedelisches Flair schaffen. Aber auch die zahlreichen Nachtaufnahmen des Milieus oder die schönen Hafen-Shots sorgen für Atmosphäre und gute Laune. Da alles wird dann erwartbar flugs aneinandergereiht, denn der halbdokumentarische Stil des Films möchte ja gewahrt werden. Das mündet letztlich in einer etwas lahmen Finalsequenz, die doch allzu sehr in Richtung Drama abdriftet.
Das macht aber nichts, denn die Zeit zuvor nutzt WENN ES NACHT WIRD AUF DER REEPERBAHN sehr geschickt und bietet bis dahin derart viel Schwung, Action und Schmutz auf, dass es eine wahre Freude ist. Der Film versucht dabei erst gar nicht, sich den Anstrich einer objektiven Berichterstattung zu geben (von der geradezu hilflos wirkenden Texteinblendung am Anfang einmal abgesehen), sondern verfolgt sein Ziel – nieder Unterhaltung für sensationsgierige Zuschauer zu bieten – recht unverhohlen. Und dass das eine wohlgewählte Entscheidung ist, zeigen nicht zuletzt die in den nächsten Jahren zahlreich produzierten Filme ähnliche Machart. So kann man WENN ES NACHT WIRD AUF DER REEPERBAHN durchaus als Startschuss des deutschen St. Pauli-Films einordnen – und zwar als äußerst unterhaltsamen Startschuss!
Rolf Olsen ebnet hier in unverhohlen schaulustiger Art und Weise den Weg für den in den nächsten Jahren florierenden St. Pauli-Film. Flott erzählt, trefflich besetzt und nie um eine plakative Zurschaustellung von Drogen, Sex und Gewalt verlegen, bietet der Streifen feinste deutsche Exploitation-Unterhaltung.
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