DER PANTHER WIRD GEHETZT

Der Panther wird gehetzt
Classe tous risques | Frankreich/Italien | 1960
IMDb, OFDb, Schnittberichte

Der Gangster Abel Davos (Lino Ventura) flieht mit seiner Familie und seinem Komplizen Raymond (Stan Krol) aus Italien, wo er zum Tode verurteilt wurde, an die Südküste Frankreichs. Nachdem seine Frau Thérèse (Simone France) und Raymond dort bei der Landung sterben, will sich Abel mit seinen Kindern nach Paris durchschlagen. Doch die erwartete Hilfe seiner alten Kumpane bleibt aus, stattdessen eilt ihm der unbekannte Eric Stark (Jean-Paul Belmondo) zur Hilfe.

Nach seinem Debut DIE TOLLE RESIDENZ (1955) schnappte sich Claude Sautet den Kriminalroman Das Ende vor Augen (Originaltitel: Classe tous risques) von José Giovanni und fertigte daraus zusammen mit Pascal Jardin ein Spielfilmskript. Giovanni hatte seinen Roman unter dem Eindruck einer Gefängnisstrafe geschrieben und es ist genau diese ruhige Betrachtung von gesetzlosen Personalien, die außerhalb der eigentlichen Normgesellschaft stehen, die Sautet dann in seiner Spielfilmadaption umzusetzen sucht.
Lino Ventura wird dabei als Hauptrolle Abel Davos auffallend ambivalent angelegt. Schon im ersten Voice-Over wird erklärt, dass er ein zum Tode verurteilter Verbrecher ist, der nur wenige Minuten später sorgsam die Abreise seiner Familie plant und ein empfindsames Beieinandersein mit seiner Frau am Strand abhält. Diese Zeichnung behält Sautet im Verlaufe des Films bei und so wird Abel – von Ventura gewohnt gekonnt zwischen Gefühl und Gehabe gespielt – zu einer Figur, die sich gleichzeitig um das Wohl ihrer Kinder sorgt und Widersacher eiskalt aus dem Weg räumt. Dass der Zuschauer diesem Charakter trotzdem Sympathien entgegenbringt, mehr er spätestens, wenn das gnadenlose Finale ihn brachial darauf aufmerksam macht.

Liliane: Liebst du mich?
Stark: Nein. Bist du glücklich?
Liliane: Nein.

Neben Ventura darf der junge Jean-Paul Belmondo, der bereits erste Schritte im Business unternommen hatte, hier seine erste große Hauptrolle geben. Als lockerer Jüngling Eric Stark steht er dabei nicht nur den mittlerweile in der Bürgerlichkeit angekommenen Altgangstern gegenüber, sondern bietet Abel auch mit seiner Aufrichtigkeit den einzigen wahren Halt. Ohne Gegenleistung (auch ein Merkmal der alten, überholten Gangstertraditionen) hilft Eric wo es nur geht und wird so zum weitaus positivsten Charakter des Films. Belegt wird das auch durch Belmondos schelmisch-ungezwungenes Spiel und durch seine Beziehung so der ebenfalls undurchsichtigen Liliana, die hier von Sandra Milo, drei Jahre später in Federico Fellinis ACHTEINHALB (1963) zu sehen, trefflich gegeben wird.

Die Herren Michel Ardan, Marcel Dalio und Claude Cerval stellen dann den harten Kontrast zu Belmondos Rolle dar. Sie verkörpern die althergebrachte Verbrecherwelt von Paris, die sich jedoch in Abwesenheit Abels zur Ruhe gesetzt und sich ein gutsituiertes Leben in den Graustufen der Gesellschaft gesichert hat. Ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu stehen, ist ihnen an der Rückkehr des ehemaligen Unterwelt-Oberhaupts Abel nur wenig gelegen. So holen sie ihn nicht selbst ab (schicken vielmehr den bis dato unbekannten Eric) und sind auch nach seiner Rückankunft sehr distanziert. Diese Entfremdung stellt Sautet in den Mittelpunkt seines Films und zeichnet anhand der Rolle Abel nach, wie sich diese Wandlung auswirkt.

Stark: Das Beste an mit ist meine Linke.

Dabei bleiben die Formalia jedoch auffällig ruhig. Sautet verzichtet auf allzu actionreiche Sequenzen (einzig Belmondo darf schon mal so manchen Schlag erproben) und fasst seinen Film stattdessen in eher dokumentarisch anmutende Bilder. Vor allem die kühl gesprochenen Voice-Over-Schnipsel bestärken diesen Eindruck, die finalen Verkündungen machen das am deutlichsten. Kameramann Ghislain Cloquet untermauert diesen Stil mit sehr ruhigen Aufnahmen und einigen einfallsreichen Winkeln und Komponist Georges Deleure beschränkt sich weitestgehend darauf, die Klangwelt Paris‘ nüchtern einzufangen.
Was bleibt ist ein sehr niederschmetternder Film, ist Abel doch kein gutes Ende beschieden. Der Zuschauer folgt somit einen Menschen, der sein Leben stets außerhalb der Legalität geführt hat, auf seinen letzten Metern. Dieser Menschen wir gehetzt, getrieben und verraten, er verliert erst seine Frau, dann seine Kinder und letztlich sein Leben. Sautet inszeniert das alles ohne Vorwurf oder Tendenz, sondern mit einer erschütternden Sachlichkeit. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum der Film bei seiner Veröffentlichung in Zeiten der Nouvelle Vague eher stiefmütterlich betrachtet und rezipiert wurde; allerdings wurde dabei ein wirklich empfindsamer und für Sautets Karriere grundlegender Film übergangen.

Empfindsames Gangster-Drama, bei dem Sautet seinem Zuschauer das Schicksal seiner Hauptrolle sehr nahebringt. Die unaufgeregte Inszenierung trägt zusätzlich zur Intensität des Gezeigten bei und macht den Film so zu einem hochempathischen Erlebnis.


Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..