JACKIE BROWN

Jackie Brown
Jackie Brown | USA | 1997
IMDb, OFDb, Schnittberichte

Die 44-jährige Stewardess Jackie (Pam Grier) wird von der Polizei mit 50.000 US-Dollar und einer kleinen Menge Drogen erwischt. Das Geld gehört dem Waffenhändler Ordell Robbie (Samuel L. Jackson), den die Cops zu schnappen gedenken. Da Jackie weder in den Knast noch Ordells Rache zu spüren bekommen möchte, plant sie zusammen mit dem Kautionssteller Max Cherry (Robert Forster) ein trickreiches Spiel.

Nachdem er im Jahre 1994 mit PULP FICTION seinen Durchbruch gefeiert hatte und seine Art Filme zu drehen zu einer der bestimmenden jener Zeit geworden war, nahm sich Quentin Tarantino eine Auszeit, um sein weiteres filmisches Schaffen zu überdenken. In dieser Zeit lieferte er vor allem einen Drehbuchbeitrag für Robert Rodriguez‘ FROM DUSK TILL DAWN (1996), sowie eine Regiebeteiligung an dem Episodenfilm FOUR ROOMS (1995) ab. Selber las es in dieser Zeit diverse Romane, unter denen sich schließlich auch Rum Punch des US-amerikanischen Kriminalautoren Elmore Leonard befand. Diese Geschichte sollte zur Grundlage von Tarantinos nächstem Film werden, wofür er jedoch einige massive Änderungen vornahm.
Die markanteste Abweichung ist sicherlich die Entscheidung, die Hautfarbe der Stewardess zu ändern und sie in die Mitte der Handlung zu versetzen. Grund dafür war Tarantinos Wille, die von ihm verehrte Pam Grier im Film unterzubringen. Bereits in RESERVOIR DOGS – WILDE HUNDE lässt er seine Charaktere über die Ikone der Blaxploitation-Filme sprechen, für PULP FICTION sprach Grier gar für die Rolle der Mia Wallace vor und nun endlich sollte es zur Zusammenarbeit kommen.

Melanie: Als ihr die Bank ausgeraubt habt, habt ihr da auch anschließend euren Wagen gesucht? Kein Wunder, dass ihr im Knast gelandet seid …

Grier spielt die alternde Schönheit dann mit Bravour und liefert so sicherlich einen ihrer schauspielerischen Karrierehöhepunkte ab. Dabei lässt ihr Tarantino aber auch alle Freiheiten und gibt ihr mit unzähligen Nahaufnahmen immer wieder den nötigen Raum. Grier zeigt als Gegenleistung viel Trauer und Unsicherheit, aber auch Mut und Stärke; und wird so zur Verkörperung der zentralen Motive des Films.
Denn die Rahmenhandlung um die 500.000 US-Dollar aus diversen Waffengeschäften stellt sich bei genauerer Betrachtung als sehr rudimentär heraus. Im Mittelpunkt stehen viel mehr die Interaktion zwischen den einzelnen Charakteren. Dazu nutzt Tarantino fast immer nur Situationen, in denen sich zwei der Protagonisten begegnen und ihre Ansichten und Meinungen austauschen. Ganz selten sind mehr als zwei Personen involviert, was in Anbetracht der Größe des Casts erstaunlich ist; denn auch neben der großartigen Pam Grier strotzt der Film nur so vor schauspielerischem Können.

Samuel L. Jackson wird als Ordell Robbie zur Verkörperung des waffenhandelnden Schwarzen, der seine eigene Position irgendwann aus den Augen verliert und sich zunehmend für unangreifbar hält. Als Kontrapunkt fungiert Robert De Niro, der einen lethargischen und antrieblosen Ex-Knacki gibt, der an Ordells Seite wieder ins Geschäft einsteigen möchte. Das steht im krassen Gegensatz zu De Niros ansonsten stets hellwachen und pointierten Spiel und macht dessen Auftreten so zu einer tollen Metaebene; und nebenbei zu einer Belastungsprobe für die Nerven von Freunden temporeicher Rollen.

Ordell: Im Ernst, du rauchst zu viel von dem Zeug. Dieser Shit raubt dir den Ehrgeiz.
Melanie: Nicht wenn ich den Ehrgeiz habe stoned zu sein und Glotze zu gucken!

Bridget Fonda als durchtriebener und leichtbekleideter Blickfang und Michael Keaton und Michael Bowen als überzeichnete Cops geben dem Cast weitere Konturen und sorgen dafür, dass genug Rollen vorhanden sind, um den Austausch zwischen den einzelnen Parteien facettenreich zu konstruieren. Am wichtigsten dafür ist allerdings Robert Forster als Kautionssteller Max Cherry. Forster und Grier führen nämlich die mit Abstand eindringlichsten Gespräche über die zentralen Themen Alter und Neuanfang. Aber auch die übrigen Charaktere tragen ihren Teil bei und lassen den Film so zu einer funktionierenden Charakterstudie werden.
In Sachen Inszenierung entfernt sich Tarantino dann ganz bewusst weit von den zügigen Varianten der beiden Vorgängerfilme. Vielmehr lässt er sich immer wieder minutenlang Zeit für einzelne Einstellungen, in denen – wie erwähnt – Nahaufnahmen und enge Lokationen dominieren. So verhindert er nicht nur bewusst die Gefahr, man könnte ihn nach drei Filmen in eine allzu kleine Schublade stecken, sondern bekennt sich auch ein weiteres Mal zu der Charakter-Fixierung dieses Films.

In Essenz findet sich diese Herangehensweise in der finalen Austausch-Szene in der Umkleidekabine wieder. Gleich dreimal zeigt Tarantino diese formal wenig beeindruckende Szene, um dem Zuschauer die Sicht der einzelnen Protagonisten auf die Geschehnisse zu verdeutlichen. Das ist pro forma nicht spannend – manch Betrachter mag es gar als langweilig empfinden – spinnt aber ein feines Netz zwischen der Charakteren und deren Beweggründen. Dass die Handlung als solche dabei in den Hintergrund rückt, belegt auch der Umstand, dass der Streifen im Gegensatz zu seinen Vorgängern kaum verschiedene Zeitebenen aufweist; es kommt lediglich zu kleineren Wiederholungen mit geänderter Perspektive.
Diese bewusste Tempo-Reduzierung soll allerdings nicht heißen, dass man nicht auch in diesem Film jene Elemente findet, die Tarantino in Windeseile zu einem gefeierten Regisseur gemacht haben. Vor allem das Zusammenspiel aus Musik, Bild und Tempo funktioniert wieder nahezu perfekt, aber auch ellenlange Dialoge, die – vordergründig inhaltlos – die Charaktere zeichnen gibt es wieder zuhauf. Die Rollen sind angenehm abgedreht und zahllose Zitate aus jüngeren und älteren Klassikern finden sich an jeder Ecke. Im Mittelpunkt steht dabei aufgrund der Besetzung Griers der Blaxploitationfilm, der vor allem in Sachen Inszenierung immer wieder Huldigung erfährt.

Max: Eine halbe Million Dollar wird grundsätzlich immer vermisst.

Die für Tarantino ebenfalls stilbildenden spontanen Gewaltausbrüche finden auch wieder ihren Platz im Film, kommen allerdings deutlich reduziert daher. Alle Morde – den finalen ausgenommen – ereignen sich dabei äußerst unvermittelt, was ihnen einiges an Härte beimisst; die andererseits visuell kaum ausgespielt wird. Blut gibt es tatsächlich nur bei einem Tod zu sehen und die übrigen drei Erschießungen zeigen stets nur den Schützen, nicht aber das Opfer. Auch hier wehrt sich Tarantino gekonnt gegen den Vorwurf, die überbordende Gewalt zuvor zu oft als Schauwert zu missbrauchen.
Letztlich merkt man dem Film also an, dass er nach drei Jahren Produktions- und Planungszeit eine überlegte Fortsetzung von Tarantinos Regiekarriere darstellt. Geschickt umgeht er dabei die Gefahr der bloßen Wiederholung oder Variation und begegnet seinen Kritikern viel mehr mit einem ruhigeren und charakterbetonterem Film; und zeigt so, dass er wirklich etwas vom Filmemachen versteht und kein Two-Hit-Wonder darstellt.

Mit dieser deutlich ruhiger inszenierten Charakterstudie belegt Tarantino nach seinen beiden furiosen Erstwerken, dass er auch abseits von Zitaten, Gewalt und stylischen Dialogen zu überzeugen vermag; und schafft so alle Grundlagen für seine weitere Karriere.

5 Antworten zu “JACKIE BROWN

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