Reservoir Dogs – Wilde Hunde
Reservoir Dogs | USA | 1992
IMDb, OFDb, Schnittberichte
Der Gangsterboss Joe Cabot (Lawrence Tierney) plant einen Diamantenraub und benötigt dazu die Hilfe einer ganzen Truppe von Kriminellen. Trotz minutiöser Planung schlägt der Überfall fehl und zurück am Treffpunkt beginnt die Analyse der Geschehnisse. Die einzige Erklärung lautet: Es gibt einen Maulwurf in der Truppe!
Anfang der 90er Jahre war es für unabhängige Filmemacher nicht leicht, in den USA einen Streifen zu produzieren. Die im Laufe der 80er Jahre vollkommen explodierten Geldbeträge, mit denen die Filmwirtschaft hantierte, machten es den Studios fast unmöglich, in kleinere, unsichere Projekte zu investieren. Alles musste immer größer und pompöser sein um noch Erfolg zu versprechen. Genau deshalb war es für den knapp 30 Jahre alten Quentin Tarantino alles andere als einfach, Geldgeber für seine frühen Werke zu finden. Die selbstfinanzierte Komödie MY BEST FRIEND’S BIRTDAY (1987) blieb deshalb ebenso unabgeschlossen wie das Script zu THE OPEN ROAD, welches aufgrund seiner schieren Länge von allen Studios abgelehnt wurde (dann allerdings Jahre später aufgeteilt in TRUE ROMANCE (1993) und NATURAL BORN KILLERS (1994) doch noch verfilmt werden sollte).
Entnervt von dieser perspektivlosen Situation schrieb Tarantino dann ein Drehbuch, welches sich sowohl in Sachen Spielort als auch Handlung derart reduziert darstellte, dass es ihm möglich gewesen wäre, es eigenfinanziert zu produzieren. Doch als Tarantino schon seine 16mm-Kamera auspackte, machte sich sein Kumpel und Produzent Lawrence Bender daran, Harvey Keitel als Koproduzenten an Bord zu holen. Keitel – seit jeher Tarantinos Wunschhauptrolle – las das ihm zugesandte Script und sagte neben seiner schauspielerischen Darbietung auch eine finanzielle Unterstützung zu. Alles in allem kamen so runde 1,2 Millionen US-Dollar zusammen, sodass die 16mm-Kamera geschwind wieder im Karton verschwand und man stattdessen professionell ausgestattet an die Sache herangehen konnte.
Mr. Blonde: Hör zu, Kleiner. Ich will dir gar nicht erst was vormachen, ok?! Es ist mir eigentlich völlig egal was du weißt und nicht weißt, weil ich dich in jedem Fall foltern werde. Ganz unabhängig davon, was du mir erzählst oder nicht. Es ist amüsant für mich, einen Bullen zu foltern! Du kannst mir erzählen, was du willst! Das hab ich alles schon mal gehört! Wenn du was tun willst, dann bete für deinen schnellen Tod … doch der ist dir leider nicht vergönnt …
Das Script wurde jedoch in seiner spartanischen Form beibehalten und sollte letztlich maßgeblich zum großen Erfolg des Films beitragen. Denn das von den klassischen Heist-Movies inspirierte Drehbuch verzichtet nach der einfallsreichen Exposition einfach darauf, den eigentlichen Überfall zu zeigen. Hier steht der Film in der Tradition von Werken wie Jacques Beckers WENN ES NACHT WIRD IN PARIS (1953), der sich ebenfalls mehr auf seine Charaktere, als auf den Raub als solchen konzentriert. Und genauso lässt auch Tarantino seine Protagonisten reden und debattieren, ohne dabei immer einen roten Faden zu verfolgen. Oft verlassen die Themen das eigentliche Hauptthema des Films und driften in allerlei triviale Gefilde ab. Was vom Regisseur eingebaut wurde, um den Rollen eine menschlichere Ebene zu verleihen, gehört mittlerweile zu klassischen Register Tarantinos (und unzähliger Nachahmer).
Neben dieser auffälligen Dialoglastigkeit setzt der Film dann auf zahlreiche Rückblenden, die die Charaktere und Geschehnisse näher beleuchten. Auch hier fällt immer wieder auf, dass das Script gerne vom Kernthema abdriftet und immer wieder scheinbar belanglose Ereignisse ausführlich darstellt. Eine Form der Charakterexposition, die in der Folge ebenfalls Einzug in das Hollywood-Kino halten sollte. Gipfeln tut das Ganze dann in einer klassischen Tragödie, die mit dem Tod aller Beteiligten ihr Ende findet.
Bemerkenswert ist – vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass Tarantino nie eine filmische Ausbildung genoss – dann auch die äußerst versierte und einfallreiche Inszenierung der Geschichte. Trotz des arg begrenzten Spielraums nutzt Tarantino die Lagerhalle immer wieder neu und immer wieder effektiv. Vor allem die teils ewig langen Oneshots fallen dabei auf und belegen immer wieder sein Gespür für die Szene. Innovative Kameraeinstellungen runden diesen guten Eindruck ab und wenn Michael Madsen dann in einer minutenlangen Sequenz zu Stealers Wheels Stuck in the Middle with you aus der Lagerhalle hinaus- und wieder hineintanzt, dann ist der Film ohnehin jeder Kritik an der Inszenierung enthoben.
Mr. Pink: Hast du jemanden erschossen?
Mr. White: Ein paar Bullen …
Mr. Pink: Keine richtigen Menschen?
Mr. White: Nur Bullen …
Wie erwähnt sorgte der Produzent Lawrence Bender dafür, dass Harvey Keitel die Hauptrolle übernahm (und in dieser dann auch brilliert), aber auch die übrige Besetzung ist für ein Independent-Regiedebut außerordentlich namhaft ausgefallen Vor allem Lawrence Tierney, der im Nachkriegshollywood eine große Nummer war, fällt dabei auf, gibt er hier doch einen Mafiaboss, der sich ohne Weiteres mit den großen Namen dieser Genres messen kann. Ansonsten legen hier Leute wieder Tim Roth oder Steve Buscemi die Grundsteine für ihre Karrieren und auch Michael Madsen bietet eine Rolle dar, die an ikonischem Potenzial wohl kaum zu überbieten ist. Aber all diese Rollen wären wohl kaum zu derartiger Berühmtheit gelangt, wenn Tarantino sich nicht einen kleinen Einfall bei Joseph Sargents U-Bahn-Thriller STOPPT DIE TODESFAHRT DER U-BAHN 123 (1974) ausgeliehen und den einzelnen Rollen Farbnamen zugewiesen hätte.
Dass er das Sortiment dann aber um die Farbe Pink erweitert – und somit sowohl einige Gangs als auch einiges an Extravaganz einfließen lässt – muss man Tarantino hoch anrechnen. Hier zeigt sich nämlich ein weiteres zentralen Moment seiner Filmerei: das Zitieren. Im Film finden sich unzählige Referenzen auf andern Genres, Filme, Rollen und Regisseure. In seiner Zeit als Videothekar hatte Tarantinos bekanntlich genügend Zeit, sich ein umfangreiches Filmwissen anzueignen, welches er in seinem ersten eigenen Film dann von der Leine ließ. Doch anstatt nur zu kopieren, erweitert er die Referenzen oft einfallreich und pointiert. Was man schon am oben genannten Beispiel erkennen kann, wird besonders deutlich, wenn die von Sergio Corbuccis DJANGO (1966) entliehene Entfernung eines Ohres nun von schmissiger Musik begleitet stattfindet. Derartige Überhöhungen gibt es immer wieder zu sehen, sodass die meisten Referenzen auch eine neue Funktion erhalten. Für versierte Zuschauer bietet das natürlich ein riesiges Interpretationspotential.
Weniger lang diskutieren muss man bezüglich der musikalischen Werte des Films. Hier lässt Tarantino seinen persönlichen Geschmack massiv einfließen und verhilft so einigen klassischen 70er Jahre-Hits zu einem zweiten Frühling. Eine thematisch-spezifische Radiosendung erhält sogar einige exponierte Auftritte und verleiht dem Film einen Stil, der bis heute prägend für die Filme von Tarantino ist; und macht die Soundtracks seiner Film fast ebenso begehrt wie die Werke selbst.
Joe: Wenn ich euch die Wahl der Namen überlasse, habe ich hier fünf Kerle sitzen die sich darum streiten wer Mr. Black sein darf!
Dass das Abschneiden eines Ohres ebenfalls blutig ausfällt wie die meisten Einschusslöcher und das auch ansonsten mit dem Kunstblut nicht geknausert wurde ist dann ebenfalls wegweisend für Tarantinos weitere Filme, denen stets ein deutlicher – oftmals überhöhter – Gewaltgrad inne ist. In unzähligen Interviews hat der Filmemacher seitdem zu diesem Thema Stellung bezogen und seine Ansichten dargelegt. Viele Kritiker haben die expliziten Darstellungen jedoch trotzdem nie verstanden.
Folglich verließen dann auch immer wieder Zuschauer die Vorführungen des Films, der sich erst nach einer Kino-Wiederaufführung (im Zuge derer er in den USA mit knapp drei Millionen US-Dollar sein Budget wieder einspielen konnte) auf diversen Filmfestivals einen Namen machen konnte. Das dann aber auch richtig, sodass der Streifen sich spätestens ab der Heimkinoauswertung zu einem echten Kultfilm mauserte. Für Tarantino stellt er den Beginn einer beispiellosen Karriere dar, die in den nächsten Jahrzehnten Erfolg an Erfolg reihen sollte. Vor allem aber machte der Film deutlich, dass auch in den vollkommen aus dem Ruder laufenden US-amerikanischen Filmkreisen ein intelligent gemachter Independent-Streifen Erfolg haben kann.
Tarantinos Debut weist bereits alle Merkmale auf, die seine späteren Werke zu derartigen Erfolgen werden lassen sollten. Und die produktionsbedingte Enge, in der sich der Film abspielt, verleiht ihm noch ein Quäntchen Individualität. Tolle Schauspieler, klasse Musik und eine innovative Inszenierung runden das alles ab und machen den Film immer wieder zu einem Genuss!
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