Die Nacht der lebenden Toten
Night of the Living Dead | USA | 1968 | IMDb, OFDb, Schnittberichte
Barbara (Judith O’Dea) besucht mit ihrem Bruder Johnny (Russell W. Streiner) das Grab ihres Vaters. Auf dem Friedhof werden die beiden von einem Mann angegriffen, der Johnny im Verlaufe des Kampfes tötet. Barbara kann fliehen und rettet sich in ein abgelegenes Landhaus. Dort trifft nach kurzer Zeit auch Ben (Duane Jones) ein. Doch neben dem neue Gefährten haben sich auch Dutzende von merkwürdigen Gestalten um das Haus versammelt, die den beiden augenscheinlich nach dem Leben trachten.
Mitte der 60’er Jahre arbeiteten die drei College-Freunde George A. Romero, John A. Russo und Russel W. Streiner in einer kleinen Produktionsgesellschaft namens The Latent Image. Mit dieser produzierten sie Werbe- und Lehrfilme und konnte sich so mehr schlecht als recht über Wasser halten. Also suchten die drei logischerweise nach einer Möglichkeit, in das echte Filmwesen einzusteigen. Schnell war klar, dass das erste Projekt ein Horrorfilm sein sollte. Seit der Mitte der 50’er Jahre war dieses Genre nämlich in der amerikanischen Kinolandschaft vorbehaltlos etabliert und im Vergleich zu anderen Stilrichtungen ließen sich hier mit wenig Aufwand hohe Erträge erzielen.
Aber trotz der verhältnismäßig geringen Produktionskosten drehte sich auch ein Horrorfilm nicht gänzlich ohne Kapital. Also gründeten die drei die Produktionsfirma Image Ten. Wie der Name erahnen lässt, wurde dazu zehn Investoren gesucht, die jeweils 600 US$ zum Budget beitragen sollten und dafür in gleichen Teilen am Gewinn beteiligt würden. Schnell zeigt sich, dass die so generierten 6.000 US$ nicht reichen würden, also wurden aus zehn Investoren zwanzig. Doch auch das reichte nicht, so dass sich die drei Jungfilmer daran begaben, weitere private Investoren zu suchen. Schlussendlich brachten sie es dann auf ein finales Budget von 114.000 US$. Das war zwar nach wie vor eine überschaubare Summe, aber mit einer paar Anpassungen des Drehbuchs ermöglichte sie den Dreh des Films.
Das Drehbuch selber durchlief eine Vielzahl von Phasen, bis es endlich die heute bekannte Form erhielt. Von Anfang an ließen sich Romero und Russo dabei von Richard Mathesons I am Legend inspirieren. Frühe Drehbuchentwürfe bezeichnete Romero gar als Rip-Off der berühmten Sci-Fi-Geschichte. Um ein wenig mehr Distanz zur Vorlage zu schaffen, nannte Romero die Wesen im Film dann auch Ghoule. Auf diese Weise zog er eine klare Grenze zu Mathesons Vampiren. Das fertige Drehbuch umfasste dann übrigens drei Teile, von welchen nur der erste den Weg in den Streifen fand. Die übrigen beiden Teile verarbeitete Romero dann Jahre später in ZOMBIE und ZOMBIE 2 – DAS LETZTE KAPITEL.
Nun war im Drehbuch also die Rede von Ghoulen, die von den Toten auferstehen und das Fleisch der Lebenden verzehren. Diese Wesen bewegten sich langsam über die Leinwand und wecken beim Zuschauer so Erinnerungen an andere, bereits bekannte Filmmonster: Die Zombies. Diese waren schon lange vor 1968 im Film präsent, wenn auch in einer anderen Form. Bis zu diesem Film gründeten sich Zombies auf den Voodoo-Kult, in dem Menschen mit Hilfe von Drogen und Hypnose zu willenlosen Sklaven gemacht werden. Romero nannte seine Wesen dann zwar nicht Zombies (tatsächlich fällt das Wort nicht einmal im Film), aber das erledigte das Publikum recht schnell für ihn. DIE NACHT DER LEBENDEN TOTEN stellt also die Geburtsstunde des modernen Zombies dar, der heute nicht mehr aus der Popkultur wegzudenken ist. Und nicht nur das, der Film gab auch alle relevanten Eigenschaften des Genres Zombiefilm vor. Das Auferstehen der Untoten, ihre Gier nach Menschenfleisch und die Möglichkeit, sie durch einen Kopfschuss zu töten. Auch die örtlich begrenzte und beengte Situation, die zunehmenden Konflikte unter den Protagonisten und das pessimistische Ende sind bis heute feste Bestandteile des Genres.
Was uns heute nur allzu vertraut erscheint, war damals eine Revolution des Horrorgenres. Bis dato waren es meist Monster oder Außerirdische, die den Schauspielern ans Leder wollten. Romero ersetzt diese phantastischen Widersacher nun durch sehr reale Gegner. Auf den ersten Blick kaum von Menschen zu unterscheiden, stellen die Zombies im Filme eine sehr konkrete Bedrohung dar. Gerade die Eröffnungsszene macht einem diesen Umstand sehr schnell bewusst. Wenn Barbara dann zum Ende von ihrem eigenen (untoten) Bruder in die Fänge der Zombies gerissen wird, stellt das jedes Fantasie-Monster in den Schatten. So wurde der Film gerade vom Happy-End-gewohnten amerikanischen Publikum zunächst als sehr hart und düster empfunden. Da die amerikanische MPAA noch nicht gegründet war, gab es für den Film auch keine Altersbeschränkung, was dann bei vielen jungen Kinobesuchern zu unschönen Erlebnissen führte. Denn der Film bietet teils sehr explizit Bilder. Das Verspeisen von Leichenteilen und einige sehr grausame Mordszenen vermochten die unbedarften Zuschauer zu schockierten. Das die kleine Karen ihre Mutter tötet oder eben Johnny seine Schwester umbringt ist zwar – vor allem nach heutigen Maßstäben – nicht übermäßig brutal inszeniert, aber inhaltlich weit über dem Gewalt-Standard dieser Zeit.
Allerdings stellen diese Effekte-Szenen nicht die einzigen optischen Reize des Films dar. Das geringe Budget zwang Romero, den Streifen in Schwarz-Weiß zu drehen. Was zunächst als klarer Wettbewerbsnachteil erschien (immerhin war der Farbfilm noch recht jung und lockte die Massen ins Kino), entwickelt sich im Laufe der Produktion dann zum großen Vorteil. Der Schwarz-Weiß-Look kaschiert nicht nur die geringen Mittel des Films, er gibt dem Film auch ein sehr authentisches Aussehen. In den USA wurden Nachrichtensendungen auch 1968 noch in Schwarz-Weiß ausgestrahlt, und so erhielt DIE NACHT DER LEBENDEN TOTEN einen dokumentarischen Charme. Für die Wirkung des Films war das nur zuträglich. Auch beim Ton mussten Budget-bedingt Einsparungen vorgenommen werden. Für 1.500 US$ wurden alle Musiktitel von dem Label Capitol Records gekauft. Diese teils älteren Stücke sorgen dann zusammen mit dem Schwarz-Weiß-Material dafür, dass der Film sehr viel älter wirkt, als er eigentlich ist. Gerade während der sehr gesprächsarmen ersten 25 Minuten kommt man sich deshalb stellenweise wie in einem Stummfilm vor.
Wenn bei einer Produktion nun jeder Cent zweimal umgedreht werden muss, dann hat das gewohntermaßen auch Auswirkungen auf den Cast. Dieser bestand dann folglich zum größten Teil aus Freuden und Bekannten. Bemerkenswert ist an dieser Stelle übrigens die Besetzung der Hauptrolle mit einem farbigen Schauspieler. Im Nachgang betonte Romero in Interviews dazu mehrfach, das Duane Jones die Hauptrolle nur erhielt, weil er mit Abstand der beste Schauspieler am Set war. Auch deshalb nahm Romero keinerlei Änderungen am Drehbuch vor, die in irgendeiner Weise auf die Hautfarbe von Jones eingehen. Der Rest des Cast kann ebenfalls weitestgehend überzeugen und schafft es, eines der zentralen Motive des Films, die sich immer weiter zuspitzenden Konflikte unter den Protagonisten, glaubhaft zu vermitteln.
Auch deshalb entwickelte sich der Film dann im Laufe der Jahre zu einem Klassenschlager und Kultfilm sondergleichen. Geschätzte 30 Mio. US$ wurden weltweit eingespielt und für Romero stellte es den Startschuss einer großen (wenn auch stets auf das Horrorgenre begrenzten) Karriere dar. Womit er allerdings recht alleine dastehen sollte. Keinem der übrigen Beteiligten – weder aus Stab noch Besetzung – war weiterer Erfolg im Filmgeschäfte vergönnt. Einzig John A. Russo sollte Jahre später im Fahrwasser des Film noch zu zweifelhaftem Ruhm gelangen.
Der ausbleibende Erfolg aller Beteiligten wird umso gewichtiger, wenn man bedenkt, dass von den 30 Mio. US$ fast kein Cent bei ihnen landete. Grund dafür ist ein kleiner Fehler bei der finalen Namensgebung des Streifens. Dieser sollte zunächst Night of the Flesh Eaters heißen. Dieser Titel kollidierte aber mit dem bereits erschienen Film THE FLESH EATERS, so dass man umdisponieren musste. Schlussendlich einigte man sich auf den heute bekannten Titel. Doch beim Publisher Walter Reade‘s Continental Film unterlief einem Mitarbeiter ein Fehler und er vergaß einen wichtigen Copyright-Vermerk im Film. Somit galt der Film in den USA als gemeinfrei und jeder konnte ihn nach Gutdünken Vervielfältigen und Verkaufen. Das erklärt sowohl die Unmengen an verschiedenen DVD- und VHS-Auflagen des Films, als auch die Tatsache, dass die eigentlich Beteiligten quasi nichts verdienten. Ebenfalls aus diesem Grund dürfte DIE NACHT DER LEBENDEN TOTEN wohl der Film mit den meisten Cover-Artworks sein. Da jeder sein eigenes Design zu dem Film veröffentlichen konnte, gibt es heute eine schier unüberschaubare Masse an Covern, Artworks und Postern zum Film.
Das fehlende Urheberrecht sorgte aber auch noch für andere Auswüchse. 1998 begab sich Drehbuchautor John A. Russo – dessen überschaubare Karriere sich bis dahin stets im Umfeld des Films abspielte – daran, eine 30th Anniversary Edition des Films zu produzieren. Dafür wurden ungefähr 15 Minuten an neuem Material eingefügt und anderen Stellen wurden Szenen gekürzt. So erhielt der Film eine andere Hintergrundgeschichte als das Original. Fans des Films reagierten entsetzt auf die neue Schnittfassung und Russo erntete weltweit nur Spott und Häme. Diese Fassung kann demnach bestenfalls aus Interesse begutachtet werden, ist ansonsten aber völlig irrelevant.
Eine weitere Fassung im Jahre 2006 vom Label New KSM produziert. Diesmal von Romero freigegeben (wohl in dem Willen wenigsten etwas mit dem Original zu verdienen), kolorierte KSM jedes Frame des Films einzeln nach und schuf so eine Farbfilm-Fassung. Diese ist zwar durchaus gut gelungen, stellt allerdings ebenfalls eine Version dar, die nun für Komplettisten von Belang ist. Wie bereits erwähnt arrangierte sich das Team nämlich während der Dreharbeiten so weit mit dem Schwarz-Weiß-Bild, dass es fest zum Stil des Films gehört.
Zehn Jahre später sollte Romero dann den legendären ZOMBIE drehen, der seine Ursprünge eben in dem Drehbuch-Entwurf zu DIE NACHT DER LEBENDEN TOTEN hat. ZOMBIE verhalf dem Genre dann zum endgültigen Durchbruch und stellt bis heute die Blaupause des Zombiefilms dar. Doch alle diese Zutaten fanden sich auch schon 1968 in diesem kleinen Filmchen der Freunde Romero, Russo und Streiner, die den modernen Zombiefilm mit ihrem Erstling begründeten. Und das auch noch in außerordentlich gelungener Art und Weise.
Die Geburt des modernen Zombiefilms. Spannend, düster, wegweisend. Ein Meisterwerk.
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schön geschrieben. unbedingt auch mal die humorvolle kurzfilm homage an diesen klassiker auschecken! „die nacht der lebenden idioten“ https://www.youtube.com/watch?v=iPkdb4Otpmo&t=331s
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